Der Sohn der Schatten
fleckig. Seine Handgelenke hingen in eisernen Fesseln über seinem Kopf, so dass er sich nicht von dort wegbewegen konnte, wo er an den Ketten hing. Schmutzige, blutfleckige Lappen waren um seine Hände gewickelt.
Ich biss die Zähne zusammen und ging weiter.
»Löst die Fesseln dieses Mannes, und zwar schnell.«
»Liadan«, ächzte Möwe, als der Mann nach oben griff, um die Fesseln aufzuschließen. Dann hielt er die Luft an, als seine Handgelenke plötzlich frei waren und die Arme an seine Seiten sackten, als wäre kein Leben mehr darin.
»Es wird sehr wehtun, wenn das Gefühl zurückkehrt«, sagte ich, als er mit einem schmerzlichen Keuchen zu Boden sank. »Aber wir haben keine Zeit. Wir müssen hier raus. Wo ist Bran? Wo ist der Hauptmann?«
Möwe bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen, um anzuzeigen, dass er das nicht wusste.
»Du musst es wissen! Irgendjemand muss es wissen! Wir haben nur Zeit bis zur Abenddämmerung, um hier wegzukommen!«
»Kann … laufen. Kann … gehen.« Möwe kam auf alle viere, danach auf die Knie, dann stand er schwankend auf. »Bereit … zum Gehen.«
»Das ist gut, Möwe. Das ist sehr gut. Versuch, einen Arm um meine Schultern zu legen – aber pass auf den Jungen auf – genau so. Ich helfe dir.« Ich wandte mich dem Soldaten zu. »Sag mir, wo er ist. Bitte sag es mir. Willst du denn, dass wir alle sterben, bevor die Sonne untergeht?«
Aber der Mann schwieg und beobachtete mit kaltem Blick Möwes taumelnde Versuche, sich fortzubewegen. Die Luft war stickig, und jeder Atemzug war ein Kampf. Johnny wimmerte. Wenn wir jetzt gingen, wäre immer noch ein wenig Tageslicht übrig. Wenn wir jetzt gingen, hätten wir eine Chance, vor der Abenddämmerung außer Sichtweite zu sein. Hier könnte ich suchen und suchen, bis es wirklich zu spät war, und ihn immer noch nicht finden. Bringt den Straßenköter wieder ins Dunkel, wo er hingehört. »Wir sollten lieber raufgehen«, stammelte der Mann.
»Noch nicht«, sagte ich. »Steht still. Ganz still.« Denn es war da, ein leiser Schrei im Dunkeln. Das Gefühl einer Gefahr und das Heraufbeschwören ungeheurer Willenskraft, um ertragen zu können, was nicht ertragen werden konnte. Wo bist du? Ich konnte nicht sagen, ob ich es mir nur einbildete oder tatsächlich den Schrei dieses verlorenen Kindes hörte, der meine Gedanken heimgesucht hatte, seit ich begonnen hatte, die Wahrheit über den Bemalten Mann zu erfahren.
Die Stimme meines Geistes flüsterte im Dunkeln: Ich bin hier. Streck die Hand aus.
Schweigen. Hilfloses, schauderndes Schweigen. Streck die Hand nach mir aus, Johnny. Ich werde dir helfen. Zeig mir, wo du bist. Es war nicht mein Sohn, mit dem ich sprach, mein Sohn, der nun glücklicherweise still war, warm und sicher auf meinem Rücken. Möwe stützte sich auf meine Schulter, und ich spürte sein Zittern bei dem Versuch, seinen geschundenen Körper zu beherrschen, aufrecht zu bleiben und ruhig zu atmen, so dass ich lauschen konnte. Wo bist du? Gib mir deine Hand. Greif nur noch ein Stückchen weiter.
Es kam kein Laut, nichts, was ich hören konnte. Nicht in der äußeren Welt und nicht im schattenhaften Reich des Geistes. Aber ich wusste es. Plötzlich wusste ich es. Ich ging durch das Gittertor nach draußen, Möwe stolpernd neben mir, und der Soldat folgte mit der Laterne und mit mürrischer Miene. Auf halbem Weg den dunklen, unterirdischen Gang entlang blieb ich stehen.
Man konnte es kaum sehen. Es war sehr kunstvoll verborgen, schloss mit dem Boden ab, und die einzigen Zeichen seiner Existenz waren die kaum sichtbare Linie am Rand und eine kleine Senke im Stein, wo die Falltür gehoben werden konnte. Eamonns Urahn hatte tatsächlich über ungewöhnlichen Erfindungsreichtum verfügt.
»Öffne diese Falltür.«
»Das kann kein Mann allein tun.«
»Verflucht, mach sie auf! Hol einen anderen, wenn das nötig ist. Und beeilt euch!«
Sie waren langsam, quälend langsam, während ich wartete und schauderte. Halte aus, sagte ich ihm. Ich bin hier. Es dauert nicht mehr lange.
Die Falltür war schwer, eine handspannendicke Steinplatte. Alles war gut gepflegt und erhalten, aber es brauchte die gesamte Kraft der beiden Männer, um die Tür zu heben. Endlich stand sie offen.
»Gebt mir die Laterne«, forderte ich, und sie reichten sie mir. Ich stellte sie an den Rand der rechteckigen Öffnung im Boden und schaute hinein.
Der Raum war klein genug. Er reichte gerade, um einen nicht besonders großen Mann
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