Der Sohn der Schatten
man die Geschichte von dem gesetzlosen Fergus und seiner Fomhóire-Braut glauben konnte. Ich glaubte es. Ich spürte es in mir, als ich eine Hand auf die Steine des großen Hügels legte. Ich spürte träge Vibration tief drinnen in der Erde, und wieder hörte ich die Stimme sagen: Gut gemacht.
So wenig Zeit. So wenig Zeit, ihn zurückzubringen, bevor er an seinen Wunden oder vor Verzweiflung oder einfach vor Durst starb. Bran konnte nichts trinken. Die Männer hatten bei den Felsen einen Unterschlupf gebaut, mit einem Dach aus Segeltuch, aber vorn offen, so dass man auf den Teich hinausschauen konnte oder das kleine Feuer beobachten, das zwischen den Steinen brannte. Hier lag er reglos auf einem Strohsack.
»Du musst vorsichtig sein mit dem Kind am Feuer«, warnte ein Mann. »Aber wir haben es vorsichtshalber hoch gebaut.«
Am Ende stellte sich heraus, dass ich mir wegen Johnny keine Sorgen machen musste. Sie brachten ihn zu mir, damit ich ihn stillte, und zum Schlafen packte ich ihn auf das Bett aus Farnkraut, das sie vorbereitet hatten, und deckte ihn mit Fuchsfellen zu. Seine eigene kleine Decke, die ich mit solcher Liebe genäht hatte, war in Sidhe Dubh zurückgeblieben. Wenn er wach war, sah ich meinen Sohn meist in den Armen eines großen, ledergekleideten Kindermädchens oder vielleicht in einer Hängematte oder hoch oben auf breiten Schultern oder bei Ratte auf dem laubbedeckten Boden, ein Stück Brot in einer Hand, wie er seine schönen, neuen Zähne ausprobierte. Die Insektenstiche verblassten; jemand hatte tatsächlich Braunwurz gefunden. Ratte erklärte, das Kind sei sehr fortgeschritten für sein Alter, und ich stimmte ihm zu. Ich akzeptierte, dass Johnny plötzlich mehr Onkel gefunden hatte, als irgendein Kind je brauchen würde, und überließ ihn ihnen, wenn auch nicht ohne Bedauern. Er war so klein und so furchtlos.
Was Bran anging, wagte ich nicht, den anderen zu verraten, wie große Angst ich hatte. Ich hatte die Kopfwunde ausgewaschen, so dass er jetzt einen ordentlichen Verband um den Schädel trug, über den rasch nachwachsenden Locken. Es war Möwe, der mir half und sich weigerte, sich auszuruhen; auch Schlange blieb in der Nähe. Wir setzten Bran aufrecht hin, hielten seinen Kopf hoch und legten einen feuchten Schwamm an seine Lippen. Aber die Flüssigkeit lief über sein Kinn und auf die Decke, als hätte er den Willen verloren, sich selbst zu helfen.
»Wie lange kann er ohne Wasser weiterleben?«, fragte Möwe.
»Vielleicht noch einen Tag.« Ich versuchte, meine Verzweiflung zu verbergen, aber das Zittern in meiner Stimme verriet mich. Ich konnte sehen, wie abgemagert Bran war, die Knochen waren deutlich unter der gemusterten Haut zu sehen. Ich konnte seine schmalen Finger spüren, das zerbrechliche Handgelenk, wo sich das kleine Abbild eines geflügelten Insekts vor der trockenen, bleichen Haut abhob. Ich konnte hören, wie flach sein Atem war. Möwe wusste nicht, wie lange Bran in diesem Verlies unter der Erde gehockt hatte, denn er hatte selbst die Tage nicht mehr zählen können, als sie in Sidhe Dubh waren.
»Du musst etwas für mich tun«, sagte ich zu Schlange, der am Fuß des Strohsacks stand.
»Was immer du willst.«
»Ich möchte, dass du jemanden ausschickst, der versucht, meinen Vater zu finden. Er ist Iubdan von Sevenwaters, aber er hieß einmal Hugh von Harrowfield. Ein Brite. Er ist ein sehr großer Mann, kräftig gebaut, mit rotem Haar. Schwer zu übersehen. Er ist am letzten Mittsommer übers Wasser gereist und sollte längst nach Sevenwaters zurückgekehrt sein. Er könnte auf dem Rückweg sein, er sollte es sein, wenn die Nachrichten von daheim ihn erreicht haben. Ich weiß, wenn er gefunden werden kann, werden deine Männer es schaffen. Aber sie müssen sich beeilen.«
»Wird gemacht.«
»Danke«, sagte ich. »Später will ich, dass sich die Männer hier versammeln. Wir müssen … wir müssen versuchen, den Hauptmann zurückzuholen. Irgendwie müssen wir ihm begreiflich machen, dass er noch nicht gehen darf, dass er hier gebraucht wird.«
»Ich werde sie holen. Du brauchst nur zu sagen, was du willst, und wir werden alles tun, Liadan. Du brauchst dich nicht zu ermüden. Lass uns für dich stark sein.«
Ich berührte leicht sein Handgelenk, wo das Band aus Schlangen sich um seinen muskulösen Arm wand. »Das bist du schon, Schlange. Du und alle anderen.«
***
Ich behielt meine Befürchtungen für mich. Ich hatte keinen Zweifel, dass dies die Aufgabe war,
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