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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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von der Finbar gesprochen hatte, eine Heilung, die meine Fähigkeiten bis an ihre Grenze beanspruchen würde. Aber Bran lag wie leblos da, hatte sich tief in sich selbst zurückgezogen, als wäre er aus eigenem Willen in dieses winzige, dunkle Gefängnis geflohen, in dem man ihn gehalten hatte. Beinahe als glaubte er, dass dies der Ort war, an den er gehörte. Er hatte einmal zu sich selbst gesagt: Nur geeignet, im Dunkel zu leben und Zurück in deine Kiste, Köter. Das war es also im Grunde, was er getan hatte. Er trug sein Gefängnis in sich, und die Tür war verriegelt. Sie zu finden und aufzuschließen würde bedeuten, einen Weg durch finstere Erinnerungen zu bahnen, durch Geheimnisse, von denen er mir gesagt hatte, sie sollten am besten begraben bleiben.
    Aber ich war nicht allein. Vielleicht könnten wir die Kraft aufbringen, ihn zurückzurufen – wir alle, die wir ihn liebten. Das wäre der erste Schritt. Was den zweiten anging, den konnte ich nicht ohne Anleitung unternehmen, denn es war eine Aufgabe, die das mutigste Herz beben ließ.
    Schlange war weg; Möwe hielt an Brans Seite Wache. Ich ging nach draußen, um mich auf die Steine oberhalb des Teiches zu setzen, wo Bran und ich einst einander in den Armen gelegen hatten, ungeachtet des Regens. Ich schaute mit einem Gefühl wachsender Sicherheit ins dunkle Wasser und rief lautlos nach meinem Onkel Finbar.
    Onkel? Ich bin hier, und ich muss dich etwas fragen. Unter den Stehenden Steinen kam die Antwort sofort, wenn auch leise; und was sich auf der Wasseroberfläche zeigte, war kaum ein Abbild zu nennen, weniger das Bild eines Menschen als ein Trick des Lichts, der einen glauben ließ, dass vielleicht, nur vielleicht, jemand da sein könnte.
    Liadan. Du bist also in Sicherheit.
    Ich bin in Sicherheit. Aber er ist es nicht. Noch nicht. Er hat sich zu tief in sich zurückgezogen, und ich muss wissen, ob ich Recht habe, ob ich ihn wiederfinden kann. Ich glaube, dies ist die Aufgabe, von der du gesprochen hast. Und ich werde es tun. Aber es macht mir Angst, Onkel. Ich fürchte mich vor dem, was ich entdecken werde.
    Der Mann im Wasser nickte ernst. Sei gewarnt, Tochter. Er wird all seine Kraft gegen dich wenden, und seine Kraft ist Furcht einflößend. Er wird dich auf jedem Schritt bekämpfen. Es ist eine grausame Aufgabe, denn du musst all die Dinge lösen, die sein Herz binden, und es freilegen. Es gibt dort großen Schmerz – einen Schmerz, den er nicht mit dir teilen will. Ein vor Angst erstarrtes Kind verbirgt sich in einem Gefängnis verlorener Träume. Finde ihn; nimm ihn an der Hand und führe ihn von diesem finsteren Ort weg.
    Mir war eiskalt. Er klang wie eine Stimme aus einer anderen Welt.
    Ich werde es tun.
    Wenn ich dir helfen könnte, würde ich das tun, Kind. Aber es ist deine Aufgabe. Und du musst jetzt beginnen. Je länger du es aufschiebst, desto weiter flieht er vor dir, bis es keinen Weg mehr zurück gibt.
    Das Wasser bewegte sich, und dann war er verschwunden.
    Ich rief nach Schlange, und er kam zu mir in den Unterstand.
    »Also gut«, sagte ich, »ich glaube, es gibt zwei Teile. Zuerst müssen wir ihn rufen, um ihn von dort, wo er sich versteckt, zurückzubringen. Dann folgt die Heilung; ich muss ihn wieder zusammensetzen, damit er bei uns bleibt. Bei dem ersten Teil müsst ihr mir helfen, den zweiten muss ich allein erledigen.«
    »Nicht viel Zeit«, meinte Möwe leise.
    »Das weiß ich. Es muss bis zum Morgengrauen beendet sein, oder er wird uns endgültig verlassen. Ihr solltet die Männer jetzt rufen, und dann erkläre ich es ihnen.«
    »Liadan«, meinte Schlange verlegen. »Du weißt, dass er es hassen würde.«
    »Was soll ich tun? Ihn verdursten lassen, ihn allein sterben und ihn an einem Ort umherwandern lassen, den wir nicht sehen können? Oder ihm vielleicht mit einem kleinen, scharfen Messer auf den Weg helfen? Ist es das, was ihr glaubt, das ich tun sollte?«
    »Niemand hier würde das behaupten. Niemand außer dem Hauptmann selbst. Wenn er jetzt außerhalb seiner selbst stehen und das hier sehen könnte, wäre er der Erste, der sich die Klinge über die Kehle zieht. Wir stehen alle hinter dir, Liadan. Es ist nur, dass keiner von uns derjenige sein will, der ihm das alles erklärt, wenn er zurückkommt.«
    »Ich werde es ihm erklären. Und jetzt geht und holt die Männer.«
    Wir setzten uns an Brans Seite und warteten. Er hatte sich nicht gerührt; sein Gesicht war bleich und ruhig, als schliefe er. Nach außen hin gab es

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