Der Sohn der Schatten
mit dir? Du kannst nicht immer so weitermachen.« Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Wir sorgen für dich, weißt du. Wenn er … wir kümmern uns um dich und den Jungen.«
»Hör auf!«, rief ich barsch. »Sag das nicht! Er wird leben. Ich will hier nichts von Niederlage hören.«
Er schwieg einen Augenblick. Dann sagte er: »Ihr seid wirklich füreinander geschaffen. Ihr könnt einfach nicht versagen, ihr beide. Der Junge wird bestimmt einmal ein großer Anführer, wenn er erwachsen ist. Das geht gar nicht anders. Jetzt schicke ich sie, um dir etwas zu essen zu bringen, und dann tun wir, was du sagst. Aber wir brauchen einen Wachtposten. Es kann nichts schaden. Heute Nacht schläft hier ohnehin keiner.«
Ich hatte daran gedacht, sie alle in das Hügelgrab zu schicken, so dass wir allein an diesem Ort unseres Schicksals waren, an dem dunklen Teich unter einem mondlosen Himmel. Alte Dinge rührten sich; ich spürte ihre Präsenz in den Schatten, und ich wusste, dass dies eine Nacht der Veränderung war. Ich hatte gedacht, dass sich Bran im Dunklen an mich wenden würde, wie schon zuvor, und ich könnte seine Hand halten bis zum Morgen.
Aber dies hier war kein Ort für einsame Verzweiflungstaten; das war ein Ort der Gemeinschaft. Schlange brachte Essen und Bier und bestand darauf, dass ich am Feuer blieb und aß. Und als ich dort auf einem flachen Stein saß, mit einer Schale Eintopf auf den Knien, kamen andere aus der Nacht heraus und standen schweigend um mich herum. Ich sah den jungen Ratte mit neuen Augen, nachdem ich seine Geschichte gehört hatte. Das Feuer, das Eamonns Männer gelegt hatten, hatte ihm großes Unrecht zugefügt. Auch Spinne und Otter waren jetzt da, die ich den ganzen Tag über nicht gesehen hatte.
»Ich muss dich etwas fragen«, meinte Schlange zögernd.
»Was?«
»Sagen wir mal, du wirkst ein Wunder und er wird wieder wach und sagt: ›Wo bin ich?‹ Wie, glaubst du, kann er mit dem weiterleben, was geschehen ist? Und was ist mit dir und dem Kind? Er will dich. Du willst ihn. Aber er wird nie zulassen, dass du hier bei uns bleibst; es ist kein Leben für eine Frau und nicht für einen kleinen Jungen. Er wird dich nie auf solche Weise in Gefahr bringen. Und er wird es auch nie aufgeben. Das ist alles, was er kennt – die einzige Möglichkeit, wie er es rechtfertigen kann weiterzumachen. Du hast vor, ihn wieder hinzukriegen – willst du danach nach Hause reiten? Das wäre für alle Beteiligten ein grausames Ende.«
»Fragst du mich das ernsthaft?«
»Vielleicht nicht. Ich sehe irgendwie nicht, dass du so etwas tust. Aber du weißt, wie er ist. Er wird dich nicht hier bleiben lassen. Er wird dich nach Hause schicken und sich dann so schnell wie möglich umbringen lassen. Das ist meine Vorhersage.«
Die Männer schwiegen. Möwe sah erst mich und dann Schlange an, und es schien, als wollte er etwas sagen, aber er tat es nicht.
»Was ist, Möwe?«, fragte ich ihn.
»Ich habe nachgedacht«, meinte er vorsichtig.
»Dann raus damit.« Schlange war sofort aufmerksam. »Wenn du einen Plan hast, lass ihn uns hören. Wir haben nur wenig Zeit.«
»Ein Plan. Es ist kaum ein Plan. Ein Gedanke, nicht mehr. Ging mir den ganzen Weg durch diesen gottverlassenen Sumpf durch den Kopf. Sobald ich daran gedacht hatte, blieb er dort und wurde größer. Ich weiß, dass wir nicht zurückkehren und draußen in der Welt leben können, als Bauern, Fischer oder so. Aber wir haben Fähigkeiten. Wir sind gute Seeleute, wir können Fährten verfolgen, wir können kämpfen. Wir wissen, wie man einen Überfall plant und ihn fehlerlos durchführt. Wir wissen, wie man auf eine Weise an Orte gelangt, die niemandem sonst einfallen würden. Wir haben unsere eigenen Methoden, Probleme zu lösen und Informationen zu beschaffen. Es gibt sowohl in diesem Land als auch auf der anderen Seite des Wassers viele Häuptlinge, die in gutem Vieh und Silber zahlen würden, dass man ihren Männern solche Dinge beibringt.«
Wieder einmal hatte Möwe mich verblüfft. Wolf lauschte mit weit aufgerissenen Augen.
»Wo?«, fragte Schlange schlicht. »Es gibt nicht eine einzige Ecke in Erin, in der wir für länger als ein oder zwei Nächte willkommen sind. Lass dich nieder, und bevor du es noch weißt, taucht irgendein Adliger, dem wir irgendwann in die Quere gekommen sind, mit seinen Leuten auf, um unser Lager niederzubrennen und uns in der Nacht die Kehlen durchzuschneiden. Wir müssen ihnen immer zwei Schritte voraus sein.
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