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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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trieb ihn immer wieder etwas zu dieser Willensanstrengung. Ich schloss die Augen und verlangsamte meinen Atem, so dass wir im gleichen Rhythmus waren … ein … aus … Leben … Tod … und ich zwang mich, den Weg der Zeit zurückzugehen, über die geheimen Seitenstraßen und gewundenen Pfade der Erinnerung. Ich suchte mit all meiner Kraft in diesem Labyrinth nach ihm, und endlich, durch Schleier von Schatten, durch Schichten von Dunkelheit, begann er mich hindurchzulassen.
    Keine Luft. Ich bekomme keine Luft. Das Herz klopft, das Blut fließt rasch, unbeherrscht, unbeherrscht … eins und zwei und drei, vier und fünf und sechs … wie lange bis zum nächsten Mal  … wie lange, bis es wieder hell ist  … versuch nicht, diesen Mann zu finden, hier in der Kiste im Dunkeln … er ist längst gegangen … er ist längst davongegangen …
    Die Gedanken verklangen. Ich bewegte mich tiefer in die Schatten hinein. Sag es mir. Sag es mir. Es war, als flösse mein eigener Geist in seinen hinein, wurde Teil von ihm, während mein Körper nur noch eine unbewohnte Hülse war. Zeig es mir.
    Eine Geschichte. Erzähl mir eine Geschichte. Eine lange Geschichte, viele Nächte. Es war einmal ein Junge, der sich auf einen krummen Weg begab … er glaubte zu wissen, wohin er geht  … vier, fünf, sechs … aber er hat sich verlaufen, er hat sich verirrt im Dunkeln, und niemand ist gekommen … er irrte umher und stürzte … stürzte abwärts …
    Ich werde deine Hand halten, ganz gleich, wohin du gehst, ganz gleich, was du bist, sagte ich ihm. Ich werde nie loslassen, was ich liebe, nicht bis zum Ende der Zeit und darüber hinaus. Sieh mich an, liebes Herz. Sieh nach oben und folge dem Licht. Komm heraus zu mir.
    Hund, dem die Eingeweide heraushingen. Evan, so stark und am Ende so hilflos. Möwe eingeschlossen mit einem Metzger. Diese Männer sind ihm gefolgt, und ihre Belohnung war Leiden und Tod. Sie sind ihm in den Schatten gefolgt … so viele verloren … eine unerträgliche Last  … zähl sie … zähl die Steine in Sidhe Dubh, die Schichten von Dunkelheit über seinem Kopf, die ihn niederdrücken … Abschaum, keiner Hoffnung wert … flieh vor ihm, seine Berührung ist der Tod … seine Liebe ein Fluch …
    Wenn du zählen willst, zähl die Sterne, Liebster, wie viele Sterne am Himmel, die auf uns niederschauen, wenn wir einander in den Armen liegen und Freude verspüren? Wie viele schimmernde Fische im See, wenn ich mit unserem Sohn im Wasser plantsche und seine vergnügten Schreie sich in die klare Luft erheben? Du hast einen hübschen kleinen Lachs gezeugt, in dieser Nacht im Regen. Wie oft schlägt das Herz, wie schnell fließt das Blut, wenn wir einander schließlich berühren und wieder berühren und auf dieselbe verzweifelte, sehnsuchtsvolle Art atmen? Zähl diese Dinge, denn sie sind der Stoff des Lebens und der Hoffnung.
    Hoffnung … Diesem Mann ist die Hoffnung verboten. Berühre diesen Mann, und er wird dich zu sich in die Kiste zerren, ins Dunkel. Worte wirbeln vorbei wie trockene Blätter, flüstern in Leere hinein … Er kann sie nicht hören …
    Wieder verließ er mich, entkam meinem Griff, floh den langen, dunklen Weg hinab in sein Versteck tief in sich. Wie konnte ich ihm folgen? Wie konnte ich ihn finden, wenn ihn die Schatten wieder verbargen? Ich beschwor all meine Kraft herauf und folgte ihm. Die Geschichte. Erzähl es mir. Ein Junge. Ein Mann. Er ging auf eine Reise. Erzähl mir seine Geschichte.
    Er tat es nur zögernd, es war ein sehr dünner Gedankenfaden. Aber es war eine Geschichte: seine eigene Geschichte.
    Erzähle … erzähle die Geschichte … da ist ein Mann, und sie hören auf, ihn zu schlagen, und jemand in Grün steckt ihn in ein Loch am Boden und schließt die Tür. Es ist dunkel. Es ist zu dunkel und eng. Aber er muss weitermachen, weil … weil … er weiß nicht mehr warum, aber er muss. Er weiß, wie man weitermacht, er hat es schon öfter getan. Er hat es wieder und wieder getan. Zählen, um die anderen Dinge draußen zu halten, zählen, eins, zwei, drei … da war ein Kind, ein Junge, und er wird in ihren Armen hin und her gerüttelt und es gefällt ihm nicht. Sie weint und läuft ganz schnell, und das lässt ihn auch weinen. Dann sagt sie: »Schon gut, Johnny. Jetzt mach dich ganz klein und sei ganz still. Es dauert nicht lange, Liebling. Ich komme, sobald ich kann, zurück und hole dich. Hab keine Angst; sei nur ganz still, ganz egal, was du

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