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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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aussehende Zunge, die über den Nasenrücken gezogen war. Er war jünger, vielleicht nicht einmal fünfundzwanzig, aber sah ebenso hart aus wie die anderen, ein Mann, mit dem sich nur ein Dummkopf anlegen würde. Der Dunkle war schlichter gekleidet, und wenn er auf seiner schwarzen Haut Muster hatte, konnte ich sie nicht erkennen. Sein einziger Schmuck bestand in seinem Haar, das er in vielen Zöpfen bis auf die Schultern trug. Hinter dem linken Ohr bildete eine einzelne Feder einen helleren Fleck vor dem Schwarz. Er sah, dass ich ihn anschaute.
    »Möwe«, sagte er. »Erinnert mich ans Meer.« Er nickte den anderen zu. »Hund. Schlange. Keine anderen Namen hier.«
    »Also gut«, sagte ich höflich und war froh, dass meine Stimme einigermaßen fest klang. Es schien wichtig zu sein, sie nicht wissen zu lassen, wie große Angst ich hatte. »Dann brauche ich auch meinen nicht zu nennen. Wem von euch verdanke ich diese Kopfschmerzen?«
    Zwei sahen den mit den Wolfskrallen und dem halb rasierten Kopf an. Hund. Er war ein sehr großer, kräftiger Mann.
    »Ich hatte nicht erwartet, dass du dich wehrst«, meinte er mürrisch. »Und ich konnte nicht riskieren, dass du schreist. Frauen schreien immer.«
    Das Ächzen begann wieder. Es kam aus dem Felsen hinter uns.
    »Jemand ist verletzt«, sagte ich und erhob mich vorsichtig.
    »Ja«, meinte der Schwarze, Möwe. »Du bist die Heilerin, oder? Die, von der sie gesagt haben, dass sie vielleicht durchs Dorf kommt?«
    »Ich kenne mich ein wenig aus«, sagte ich vorsichtig, denn ich wollte nicht mehr verraten, als unbedingt notwendig war. Wenn sie tatsächlich waren, wofür ich sie hielt, dann wäre es ratsam, sehr, sehr vorsichtig zu sein. »Was ist mit diesem Mann los? Kann ich ihn mir ansehen?«
    »Deshalb bist du hier«, sagte Hund. »Und beeil dich. Unser Anführer kommt bald zurück, und wir brauchen eine Erklärung für ihn, oder dieser Mann sieht den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr.« Die Sprache, die sie benutzten, war recht seltsam, eine Mischung aus Irisch und der Sprache der Briten, wobei sie Worte und Sätze bildeten, wie sie ihnen passten. Sie sprachen fließend, aber mit einem Akzent; Schlange kam vielleicht aus Ulster, aber ich bezweifelte, dass die beiden anderen eine dieser Sprachen schon als Kinder gesprochen hatten. Es war gut, dass meine Eltern aus jeweils einem dieser Länder stammten; ich konnte ihnen recht gut folgen, wenn ich mich konzentrierte, obwohl sie hier und da ein Wort verwendeten, dessen Bedeutung ich nicht kannte, als fügten sie noch eine weitere Sprache hinzu.
    Ich hatte viele Verletzungen gesehen und mich darum gekümmert, darunter auch einige sehr ernste. Eine entzündete Messerwunde, ein unangenehmer Unfall mit einer Mistgabel. Aber so etwas hatte ich noch nie vor Augen gehabt. Der Mann lag geschützt in einer Art Halbhöhle unter überhängenden Felsen, sicher vor Regen, Wind und der Sonnenhitze. Man hatte versucht, es ihm so bequem wie möglich zu machen, ihn auf einen improvisierten Strohsack gelegt, ein grober Hocker stand in der Nähe, und es gab Wasser und eine gewisse Menge fleckigen Leinens. Auf dem Boden stand eine kleine Flasche und noch einer dieser dunklen Metallbecher. Der Mann keuchte nun, drehte den Kopf schmerzerfüllt von einer Seite auf die andere, und seine Haut war gräulich blass und schweißbedeckt. Sein rechter Arm war von der Schulter bis zu den Fingerspitzen verbunden, und der Verband war überall blutrot. Auch ohne das fleckige Tuch abzuwickeln, konnte ich sehen, dass der Arm mehr als nur gebrochen war. Die Haut seiner nackten Brust und Schulter zeigte matte, zornig rote Streifen.
    »Was habt ihr ihm gegen die Schmerzen gegeben?«, fragte ich und rollte die Ärmel auf.
    »Er kann nichts bei sich behalten«, sagte Hund. »In der Flasche ist starker Wein; wir haben es versucht, aber er kann nicht schlucken, oder wenn er es tut, gibt er es wieder von sich, bevor man bis fünf zählen kann.«
    »Normalerweise behandeln wir uns hier selbst. Kommen damit gut zurecht«, sagte Möwe. »Aber das da – zu viel für uns. Kannst du ihm helfen?«
    Ich wickelte den blutigen Verband ab und versuchte, bei dem Gestank nicht das Gesicht zu verziehen.
    »Wann ist das passiert?«, fragte ich.
    »Vor zwei Tagen.« Auch Schlange war jetzt da, ein Auge auf mich und meinen Patienten gerichtet, mit dem anderen hielt er Ausschau. Nach ihrem Hauptmann, nahm ich an. »Er ist sonst immer vorsichtig. Diesmal ist er abgerutscht. Hat versucht,

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