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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Es war schade, dass es hier in der Nähe kein Seifenkraut gab. Ich nahm mir vor zu fragen, wie sie mein Kleid so sauber bekommen hatten.
    »Angst?« Spinne war verdutzt.
    Schlange runzelte die Stirn. »Das hast du falsch verstanden«, sagte er. »Wir haben Respekt vor dem Hauptmann, keine Angst.«
    »Was?« Verblüfft hockte ich mich auf die Hacken. »Wenn ihr alle schweigt, wenn er auch nur das Wort erhebt? Wenn er euch mit den heftigsten Strafen droht, wenn ihr euch über Regeln hinwegsetzt, die er zweifellos selbst erfunden hat? Wenn ihr in einer Bruderschaft an ihn gebunden seid, aus der ihr offenbar nie entkommen könnt? Was ist das denn sonst, wenn nicht eine Herrschaft der Angst?«
    »Still«, sagte Schlange beunruhigt. »Sprich leiser.«
    »Siehst du?«, forderte ich ihn heraus, aber mit leiserer Stimme. »Ihr wagt es nicht einmal, offen über diese Dinge zu sprechen, damit er es nicht hört und euch bestraft.«
    »Das stimmt«, meinte Spinne und ließ seine schlaksige Gestalt auf den Steinen neben mir nieder, aber immer noch vorsichtige drei oder vier Schritte entfernt. »Er weiß, wie man Regeln aufstellt und wie man dafür sorgt, dass sich alle daran halten. Aber es ist gerecht. Die Regeln sind dazu da, um uns zu schützen. Voreinander. Vor uns selbst. Alle verstehen das. Wenn wir sie brechen, ist es unsere eigene Entscheidung, und wir tragen die Folgen.«
    »Aber was hält euch hier, wenn nicht die Angst vor ihm?«, fragte ich staunend. »Was für ein Leben ist das, für Geld zu töten, nie im Stande zu sein, in die wirkliche Welt hinauszugehen, nie im Stande zu sein zu … zu lieben, eure Kinder aufwachsen zu sehen, zu sehen, wie ein Baum, den ihr gepflanzt habt, wächst und Schatten auf eure Hütte wirft, oder in einem Kampf zu stehen, bei dem ihr das Recht auf eurer Seite habt? Es ist kein Leben.«
    »Bilde dir nicht ein, dass du das verstehen könntest«, meinte Schlange.
    »Ich könnte es versuchen«, sagte ich.
    »Ohne den Hauptmann« – das war jetzt Otter – »wären wir gar nichts. Nichts. Tot, im Kerker oder noch schlimmer. Abschaum. Jeder Einzelne von uns. Du kannst nicht behaupten, dass das hier kein Leben ist. Er hat uns ein Leben gegeben.«
    »Otter hat Recht«, meinte Schlange. »Frag doch Hund. Frag ihn nach seiner Geschichte, bitte ihn, dir die Narben an seinen Händen zu zeigen.«
    »Wir sind Männer, die sonst niemand wollte«, sagte Spinne. »Der Hauptmann hat uns geholfen, nützlich zu sein, er hat uns einen Platz und Ziele gegeben.«
    »Was ist mit Möwe?«, fuhr Schlange fort. »Er kommt von weit her, von einem weit abgelegenen Ort, wo es heiß ist wie in der Hölle und es überall Sand gibt. Und lauter schwarze Menschen wie er selbst. Jedenfalls, irgendjemand hat ihn wirklich fertig gemacht. Er hat zusehen müssen, wie seine Familie vor seinen Augen in Stücke gehackt wurde. Frau, Kinder, Eltern. Er wollte nur noch sterben. Der Hauptmann hat ihn rausgeholt, hat ihn überredet. Das war nicht einfach. Jetzt ist Möwe unser bester Kämpfer, wenn man vom Hauptmann selbst absieht.«
    Ich hatte meine Wäsche beinahe vergessen, und sie wäre fast davongetrieben. Schlange griff an mir vorbei, um sie festzuhalten, gab sie mir wieder in die Hand und trat dann die obligatorischen drei, vier Schritte zurück.
    »Jeder Mann hier hat eine Geschichte«, sagte Otter. »Aber wir versuchen, sie zu vergessen. Keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur heute. Das ist einfacher. Wir sind alle Ausgestoßene. Keiner von uns kann zurückkehren, wenn man vielleicht einmal von dem Schmied absieht. Das hier ist unsere Existenz, hier in diesen Wäldern, oder da draußen bei der Arbeit, wo wir wissen, dass wir bei dem, was wir tun, die Besten sind. Es ist unsere Identität: die Bande des Bemalten Mannes. Er verlangt einen guten Preis und teilt gerecht mit uns. Ich arbeite lieber für ihn, als dass ich die Uniform irgendeiner Privatarmee eines Emporkömmlings anziehe.«
    »Wer würde dich auch schon nehmen?«, sagte Schlange mit leisem Lachen. »Zu viel seltsame Tricks. Du hättest schon Ärger, bevor du deinen ersten Befehl hörst.«
    »Ich befolge seine Befehle jeden Tag«, erwiderte Otter ernst. »Der Hauptmann hat mir das Leben gerettet. Aber das Leben ist billig genug. Ich verdanke ihm etwas viel Wertvolleres. Meine Selbstachtung.«
    »Aber …« Ich war vollkommen verwirrt. Ich begann, die Wäsche auszuwringen. »Aber … ich verstehe das nicht. Begreift ihr denn nicht, dass das, was ihr tut …

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