Der Sohn des Alchemisten
denn er war direkt vor ein stattliches schwarzes Pferd gerollt, das erschrocken schnaubte.
»Was denn, was denn!« Auf dem Pferd saß ein Mann, ganz in Rot gekleidet. Um den Hals trug er eine auffallende Kette, woran ein kreisrunder Anhänger hing, in dessen Mitte ein roter Stein leuchtete.
Die umstehenden Leute, die erst über Jakob gelacht hatten, verstummten plötzlich, als sie den Reiter bemerkten. Einige Frauen knicksten. Sogar die Hunde schienen sich zu schleichen.
Jakob krabbelte eilig aus der Reichweite der Hufe. Doch das war gar nicht so einfach, denn das Pferd, das von der Menschenmenge am Markt sowieso schon unruhig war, begann nervös hin und her zu tänzeln.
»Schafft mir doch den Tölpel weg«, befahl der rote Mann. Obwohl er nur leise sprach, schien ihn jeder zu hören. »Damit ich ihn nicht zertrampeln muss.«
»Schnell!« Marie half Jakob auf die Beine und zog ihn in den Schatten, während der Reiter sein Pferd weiter durch die Menschenmenge drängte, als sei nichts geschehen.
»Das war wohl ein echter Edelmann«, sagte Marie und starrte dem Reiter hinterher.
»O ja, ziemlich edel, der Mann«, murrte Jakob. »Er wollte mich zertrampeln!«
»Vergiss es. Man merkt, dass du aus einer Stadt kommst. Los, wir versuchen unser Glück dort drüben noch einmal.« Marie deutete auf den nächsten Karren am Ende der Gasse, hinter dem eine alte Frau unter einem schwarzen Tuch saß.
»Hättet Ihr vielleicht eine Rübe oder ein Brot für zwei arme Pilger?«, fragte Marie mit leiser Stimme.
»Hä?« Das zerknitterte Gesicht kam näher. »Was willst du?«
»Eine Rübe oder Brot für ein paar arme Pilger«, wiederholte Marie nun deutlich lauter. Die Frau schien schwerhörig zu sein.
»Für ein paar arme Bälger?«, mümmelte die Alte. »Brot? Eine Zwiebel kannst du haben.«
Während sie sich bückte, um eine heruntergefallene Zwiebel aufzuheben, fiel ihr Blick auf Jakob. Der hielt einen runden Käse in der Hand und starrte wie hypnotisiert darauf.
»Ein Dieb«, kreischte die Alte mit überraschend lauter Stimme. »Ein Gaunerpärchen! Zu Hilfe!«
In diesem Moment ertönte wieder ein Pfiff. Aus dem Schatten einer Gasse heraus winkte der magere Junge von vorhin. Er nickte ihnen zu, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Gasse. Ohne nachzudenken, zog Marie Jakob von dem Karren der alten Bäuerin weg und die beiden rannten so schnell sie konnten hinterher. Hinter sich hörten sie aufgeregte Schreie.
»Schneller, Leute«, rief der fremde Junge. »Ihr wollt doch nicht an den Pranger!«
Der Pranger! Marie schauderte es bei dem Gedanken, auf dem Marktplatz festgekettet und von allen begafft zu werden. Schneller! Wurden sie verfolgt? Sie hasteten die Gasse hinab und folgten dem Jungen durch einen Torbogen in ein noch kleineres Gässchen.
»Los!« Der Junge sprang über eine kleine Mauer in einen Obstgarten. Jakob und Marie fassten sich an der Hand und sprangen hinterher.
»Hier hinunter!«, hörten sie den fremden Jungen leise rufen. Die Stimme kam aus dem Gestrüpp hinter dem Obstgarten. Ohne zu zögern, rutschten sie durch Dornen und Matsch hinterher – und landeten in einem Graben.
»Leise!« Der Junge legte den Finger auf den Mund.
Marie sah sich keuchend um. Sie kauerten alle drei unter einem moosigen Brückenbogen, ein kleines Rinnsal plätscherte ihnen zwischen den Füßen hindurch. Dichtes Blattwerk überwucherte sie. Ein ideales Versteck.
Eine Weile verharrten sie reglos. Als sie sicher waren, dass keine Verfolger hinter ihnen her waren, atmeten sie erleichtert auf.
»Wenn du stehlen willst, musst du es schlauer anstellen«, wandte sich der fremde Junge grinsend an Jakob. »Vor allem darfst du dich nicht erwischen lassen.«
»Ich – hatte bloß Hunger«, stotterte Jakob.
»Das haben wir alle einfach bloß!«, gab der Junge zurück.
»Ich – ich weiß eigentlich gar nicht, was passiert ist«, murmelte Jakob.
»Nein? Nun, ein Käse ist in deine Hand geflogen und klebt seither daran fest – das ist passiert, oder?« Der Junge grinste breit.
Jakob sah verwundert, dass er tatsächlich immer noch den Käse in der Hand hielt. Jetzt, wo er ihn schon mal hatte, wirkte er allerdings nicht allzu unglücklich darüber.
»Folgt mir«, befahl ihnen der Junge immer noch mit leiser Stimme. »Ich bringe euch aus der Stadt.«
Geduckt huschten sie den überwucherten Graben entlang. Über ihnen erhob sich schroff die Zitadelle. Der Junge lotste sie über eine wackelige Mauer. Dahinter lagen
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