Der Sohn des Alchemisten
»Er war ein Fischer unten am Fluss.«
»Mein Vater ist Buchhändler und Forscher in Paris«, sagte Jakob.
»Und ein frommer Pilger!«, fiel ihm Marie warnend ins Wort.
»Ja, natürlich«, sagte Jakob eifrig.
»Er will dem heiligen Jakobus danken!«, fiel ihm Marie wieder ins Wort. »So ist es doch, nicht wahr?«
»Danken? Äh, ja! Danken! Natürlich!« Jakob schien etwas aus dem Konzept zu kommen. »Danken, weil – weil ihn ein Traum zu einem großen Schatz geführt hat!«
»Zu deiner Mutter?« Pepe lachte laut über seinen Witz.
»Lach nicht, genau so ist es«, sagte Marie bestimmt und schaute Jakob scharf an, sodass er erschrocken zusammenzuckte.
»Wie sieht er denn aus, der gelehrte Herr Vater aus Paris?«, mischte sich Jorge ein, der etwas abseits gesessen hatte.
»Schwarzer langer Mantel mit goldener Borte«, zählte Jakob auf, »Pilgerhut, Pilgerstab, grauer Bart und zwei Maultiere, eines heißt Jackel, das andere Pippin.«
Jorge verzog das Gesicht. »Pilgerhut! Pilgermantel! Pilgerstab! Kommt mir bekannt vor!«
»Echt?« Jakob horchte auf.
»Ja. In Ponferrada auf dem Markt hab ich so einen gesehen.Und in der Kirche war auch so einer. Bei den Santiagorittern saßen fünf, die auf deine Beschreibung passen.«
»So wie du selbst es auch tust, Jorge, du alter Pilger, mit deinem schönen Schlapphut und dem Stab!« Pepe zog ihm den Hut über die Augen. »Lass dich nicht ärgern, Jakob, Jorge meint es nicht böse, stimmt’s?«
»Seid ihr drei etwa auch Pilger?«, fragte Marie.
Pepe und Gil kicherten. »O ja, sehr erfahrene! Wir kennen den Weg ausgezeichnet!«
»Ach so, dann wohnt ihr gar nicht hier in Ponferrada?« Marie blickte überrascht von einem zum anderen.
»Doch, doch, auch!« Pepe räusperte sich. »Wir haben einen wunderbaren Schlafplatz hier, eine ausgezeichnete Wohnung! Und Jorge ist in der ganzen Stadt so bekannt, dass er sich kaum blicken lassen kann!«
Gil schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Ge nau ! Der arme Jorge würde an jeder Straßenecke aufgehalten werden, so viele Leute würden gern mal ein Wörtchen mit ihm reden! He, Jorge, lach doch mal!«
Marie verstand nicht ganz, was die Jungen meinten, kam aber nicht dazu, nachzufragen, weil Jakob in diesem Moment schreiend aufsprang. »Halt! Mein Käse!«
Marie konnte gerade noch einen Blick auf den letzten Rest des köstlichen Käses erhaschen. Raschelnd verschwand eine Flussratte damit im Gebüsch. Jakob starrte unglücklich hinterher.
»So wird eben auch manchmal der Dieb selbst bestohlen«, sagte Pepe und klopfte ihm tröstend auf die Schulter.
Mitten in der Nacht wurde Marie wach. Zuerst wusste sie nicht, wo sie sich befand. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie im Heu lag, in einer Scheune gleich am Ufer des Flusses. Neben ihr konnte sie Jakobs regelmäßige Atemzüge hören. Wo waren Jorge, Pepe und Gil, die sie hierhergeführt hatten? Marie richtete sich auf und spähte durch die schwarze Nacht. Niemand zu sehen. Hatten die drei sie allein gelassen?
Leise wühlte sich Marie aus dem Heu und stahl sich ins Freie. Der Sternenhimmel wölbte sich weit über sie. Reglos lauschte sie in die Dunkelheit. Im Fluss sprang ein Fisch. Dann hörte sie leises Gemurmel.
»Nein«, konnte sie die gedämpfte Stimme von Jorge ausmachen, »wir können sie schlecht in unsere Bande aufnehmen.«
Vorne am Fluss erkannte Marie drei Schatten. Dortsaßen die Jungen. Marie schlich ein paar Schritte näher, sorgsam darauf bedacht, kein Geräusch zu machen. Hinter einem alten Weidenbaum blieb sie stehen.
»Wir haben ja schon Mühe«, hörte sie Jorge weiterreden, »für uns drei genügend zu Essen zu bekommen. Und dann, überlegt doch mal, dieser feine Pinkel aus Paris, dieser Angeber, der sich beim Klauen auch noch erwischen lässt! Der bringt uns doch alle in Gefahr!«
Marie hielt den Atem an. Die drei redeten über sie und Jakob!
Pepe murmelte etwas Unverständliches und Gil lachte. Marie beugte sich weiter vor. Dann hörte sie Gil sagen: »Jorge, genau das ist doch unser Vorteil! Ein gebildeter Pilger aus Paris. Das ist doch total unverdächtig. Dieser Jakob kommt sicher in jede Pilgerherberge rein und dann kann er den ein oder anderen um ein paar Kupferstücke erleichtern! Wahrscheinlich kann er sogar lesen! Und dann das Mädchen! Genial, oder?«
Jorge grummelte etwas und Gil antwortete: »Quatsch! Ich meine, ein Mädchen dabeizuhaben, das ist doch eine geniale Tarnung. Auf jedem Markt meint man, sie wäre eine Magd, die ganz
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