Der Sohn des Alchemisten
– Sie tuscheln immerzu!«
Marie gähnte und warf einen Blick aus der Scheune. Der Fluss dampfte noch von der Nacht. Im Gras glitzerte Tau.
»Na, ihr Langschläfer?«, rief Pepe und winkte. »Kommt zum Frühstück!«
Die Kinder krabbelten aus dem Heu und bald knabberten alle an den Paprikas, die von gestern noch übrig waren.
Marie sah, wie Jakob den drei Jungen immer wieder verstohlene Blicke zuwarf. Sein Bündel mit dem Buch hielt er stets eng am Körper.
»Wie wollt ihr zwei denn über die Brücke kommen?«, fragte Gil. »Habt ihr Geld?«
»Geld? Wir haben nichts«, antwortete Jakob ängstlich. »Und wir geben auch nichts!«
»Dann wird es schwer werden, weiterzukommen«, grunzte Jorge und reckte sich. »Zumal oben in den Bergen der Graf Gonzalo sitzt – und mit dem ist nicht zu spaßen.«
»Apropos«, fiel Pepe ein, »ich habe den Grafen gestern in der Stadt gesehen. Unser Freund hier ist ihm direkt vor die Füße gerollt. Wolltest wohl besonders unterwürfig sein, was?«
Jakob wurde wieder einmal rot.
Marie zuckte bei dem Gedanken an den rücksichtslosen Ritter auf dem Markt zusammen. So ein gemeiner Kerl!
»Ohne Geld kommt ihr auf jeden Fall nicht über die Brücke«, meinte Jorge und schob sich das letzte Stück Paprika in den Mund. »Sieht schlecht aus, Leute. Wärt ihr doch auf euren feinen Maultieren geblieben!«
»Jorge, sei nicht so hilfsbereit!« Gil knuffte ihn in die Seite. »Es gäbe nämlich noch eine andere Möglichkeit.«
»Und die wäre?« Jakob blickte überrascht auf.
»Über den Fluss schwimmen. Hier! Mit uns! Wir ziehen nämlich heute auch weiter!« Gil lachte über Jakobs verdutztes Gesicht.
»Genau«, ergänzte Pepe, »wir ziehen in unsere Zweitwohnung. Die hier am Fluss ist zu feucht. Oben in den Hügeln haben wir eine wunderbare Residenz mit Aussicht! Und in Ponferrada auf dem Markt können wir uns die nächsten Tage sowieso nicht blicken lassen, nach dem, was gestern passiert ist.«
»Ihr wollt über den Fluss schwimmen? Der sieht aber ziemlich reißend aus!« Jakob schaute skeptisch. »Außer dem kann ich nicht schwimmen!«
»Musst du auch nicht!«, erwiderte Pepe. »Zu dieser Jahreszeit wachsen die Boote auf den Feldern!«
Marie blickte sich überrascht um.
»Na hier!« Pepe deutete auf die großen Getreidebündel, die hinter der Scheune zu Garben gebunden waren und darauf warteten, gedroschen zu werden.
»Wollt ihr auf Stroh über den Fluss?«, fragte Marie ungläubig.
Pepe nickte. »Erraten. Der Bauer wird uns verzeihen, dass wir uns an seiner Ernte beteiligen.«
»Ihr müsst nur mit den Beinen strampeln«, wandte sich Gil erklärend an Jakob und Marie. »Die Strohballen tragen euch über das Wasser!«
»Aber, aber mein Bündel darf auf keinen Fall nass werden«, meinte Jakob und betrachtete skeptisch das Stroh.
»Mein Bündel darf nicht nass werden!«, äffte ihn Jorge nach. »Keiner zwingt dich, mitzukommen, wenn dir das Wasser zu nass ist. Es war nett, dass ihr unsere Gäste wart. Bitte schön – die Welt steht euch offen!«
»Jorge! Er ist eben nicht von hier!«, verteidigte Pepe Jakobs Nörgeleien. »Los! Alles, was nicht nass werden soll, legen wir oben auf unsere frisch geernteten Luxuskähne. Meine Hose zum Beispiel.«
Schon zog er sich aus.
Marie sah, dass Jorge und Gil schon dabei waren, ein paar große Getreidebündel herbeizuschleppen. Mit ihren Gürteln und mit Weidenruten schnürten sie sie zusammen. Sehr vertrauenerweckend sahen die Strohballen trotzdem nicht aus.
Vielleicht war das eine Mutprobe, um zu testen, ob Jakob und sie auch brauchbare Bandenmitglieder sein würden? Sollten sie den drei Jungen vertrauen? Marie stand unschlüssig vor dem Fluss und starrte auf das grüne Wasser, das träge vorbeiströmte. Sie selbst hatte keineBedenken, hinüberzuschwimmen. Aber was war mit Jakob?
»Kommt ihr zwei nun mit?«, fragte Jorge ungeduldig. Mit einem Fuß stand er schon im Wasser. »Wer nicht nass werden will, kann hierbleiben. Oder hat sich dort etwa schon jemand nass gemacht?«
Marie sah, wie Jakob die Zähne zusammenbiss. Er warf Marie einen fragenden Blick zu. Sie nickte leicht zurück. »Natürlich kommen wir mit!«
Schnell zog Jakob seine Stiefel, seine Hose und sein Wams aus und wickelte das Bündel mit dem Buch fest in seine Kleider. Auch Marie streifte ihren Kittel ab.
»Ein Sumpf, ein Ameisenhaufen und jetzt auch noch ein Fluss«, murrte Jakob unwillig. »Wenn ich das überlebe, schlag ich einen Purzelbaum!«
»Gib mir deine
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