Der Sohn des Alchemisten
Das wirst du noch bereuen, wenn der Ruf meines Hofs um die Welt geht! Gonzalo, so wird es heißen, hat die Geheimnisse der Elemente gelöst! In Liedern und Balladen werde ich besungen werden! Ich! Dann kann dein Kloster einpacken!«
»Mein Bester! Erhitze dich nicht!« Rui wirkte belustigt. »Und mach dich nicht lächerlich!«
»Wir werden ja sehen, wer sich lächerlich macht!«, brauste der Graf auf und wandte sich wütend um. Marie fing seinen Blick auf. Rasch schaute sie zu Boden, schwenkte die Hühner in ihrer Hand und verschwand zwischen den Frauen.
»Lass uns rausgehen.« Gonzalo senkte die Stimme.
»Ja«, stimmte ihm sein Gefährte zu, »vergessen wir die Sache!«
»Vergessen?« Der Graf folgte dem Ritter aus der Küche. »Bei meiner Seele, ich weiß etwas Besseres!«
Hinter den beiden fiel die Tür zu.
Und Marie holte tief Luft. Zu ärgerlich! Nach draußen konnte sie den beiden nicht folgen, dabei hätte sie zu gern gehört, was der Graf vorhatte.
»He!« Gil winkte fragend mit seinem Kochlöffel. Jorge und Pepe stellten die Schüssel ab, die sie gerade blank gescheuert hatten, und kamen zu ihr hinübergeflitzt.
»Hast du was gehört?«, fragte Pepe neugierig.
»Wo ist mein Vater?«, fiel ihm Jakob ins Wort, der mühsam unter dem Tisch hervorkroch und sich ein paar Federn aus dem Gesicht wischte. »Haben sie etwas über ihn gesagt?«
»Der Graf und sein Freund haben gestritten«, begann Marie, da hörte sie die Stimme der dicken Martha hinter sich. »Mädchen!«
Sie zuckte zusammen und wandte sich um.
»Geh schnell in den Stall und schnapp dir noch zwei Hühner, damit dein Freund wieder was zu rupfen hat!« Martha deutete auf die Tür.
Marie blieb nichts übrig, als zu gehorchen. Sie stand auf. »Der Graf glaubt immer noch, dass Jakobs Vater Gold herstellen kann!«, wisperte sie den anderen zu.
»Kann er nicht!«, protestierte Jakob. »Und darum geht es doch gar nicht, es geht um . . .«
». . . den Stein der Weisen, ja, ja, wissen wir«, ergänzte Jorge.
»Mädchen! Wir haben nicht ewig Zeit!«, rief Martha. »Den Hühnerstall findest du beim Misthaufen, neben den Pferden!«
Marie nickte gehorsam. »Ich bin schon unterwegs!«
Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Denn mit einem Mal war ihr klar, was sie als Nächstes zu tun hatte. Sie würde auf dem Weg zum Hühnerstall einen Abstecher machen, einen Abstecher durch die Burg! Sie musste Nicholas Flamel finden! Wenn sie erst wüssten, wo er gefangen gehalten wurde, dann könnten sie einen Befreiungsplan schmieden! Und wenn sie jemand erwischen würde, konnte sie ja immer noch sagen, sie hätte sich verlaufen, oder?
Draußen im Hof war mittlerweile alles bunt geschmückt. Die Spielleute hatten ihre Bühne aufgebaut und ein Mädchen mit einem blauen Tuch auf dem Kopf spielte auf einer Flöte. Einige kleine Kinder sprangen um sie her. In dem ganzen Trubel würde Marie sicherlich nicht auffallen.
Sie überlegte. Was hatte die alte Frau in der Küche vorhin gesagt? Man brauche noch Wachteln für den merkwürdigen Kerl da oben!
Da oben!
Marie legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Turm hinauf. War Jakobs Vater dort oben gefangen gesetzt?
Unten am Turm war eine eisenbeschlagene Tür, die unbewacht zu sein schien. Sollte sie es wagen?
»Gebt acht!«, rief in diesem Augenblick eine laute Stimme, dann polterte es laut und Marie sah, wie eines der Fässer zur Seite kippte, die hinter der langen Tafel gestapelt waren. Sie nutzte die allgemeine Aufregung und versuchte, die Tür zum Turm zu öffnen.
Sie war unverschlossen.
Sie stand in einem kleinen, weiß gekalkten Raum. An der Wand hingen drei silbrig glänzende Schwerter. Nach links führte eine Tür weiter in die Burg hinein. Direkt vor ihr lag eine Wendeltreppe.
Einen Moment lauschte sie.
Die Treppe schien verlassen zu sein.
Marie atmete tief durch, dann begann sie, die Stufen hochzusteigen.
Die Treppe führte in einen großen Saal, der ringsum mit Wandvorhängen verziert war. Staunend hielt sie inne. Hirsche! Bäume! Blüten! So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen. Auf einem Vorhang jagten Hirsche in einem silbrig schimmernden Wald, von dem nächsten blickten Heilige mit goldenen Heiligenscheinen streng auf sie herab.
Aber Nicholas Flamel war hier nicht, natürlich nicht! Die Treppe führte weiter nach oben. Marie riss sich von den Bildern los. Nachdem sie noch weiter hochgelaufen war, hielt sie schnaufend inne. Vor ihr war ein kleines Fenster. Schwer atmend schaute sie hinunter.
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