Der Sohn des Alchemisten
öffentlich, vor allen meinen Gästen!«
»Wie meint Ihr das?«, fragte Flamel erschrocken zurück.
Das also hatte der Graf sich ausgedacht! Damit alle Weltihn bewunderte, sollte Flamel für ihn auf dem Fest Gold machen! Marie ballte die Fäuste.
»Nun, Ihr wisst genau, was ich meine. Ein alter Freund von mir will nicht glauben, dass es mir gelungen ist, den weisesten aller Alchemisten bei mir, nun ja, bei mir zu beherbergen. Und der seid Ihr doch, oder?«
»Ja nun, ich bin Nicholas Flamel!«
»Na also«, fuhr der Graf fort, »daher verstellt Euch nicht länger! Ihr habt mir in Cebreiro freimütig gestanden, dass Ihr Gold herstellen könnt!«
»Ein Missverständnis!«
»Ach ja? Kommt Ihr mir wieder damit?« Der Graf senkte bedrohlich seine Stimme. »Wollt Ihr etwa verleugnen, was Ihr mir erzählt habt? Dass Ihr die Rezeptur habt? Dass die Alchemie jetzt so weit ist und die tiefsten Geheimnisse der Welt lüften kann?«
»Ja, ja, das habe ich gesagt, aber . . .«
»Na also! Sogar den Stein der Weisen besitzt Ihr, das habt Ihr doch gesagt! Und dieser Stein verspricht uns beiden, die reichsten Männer der Welt zu werden, oder etwa nicht?«
Marie staunte. Jakobs Vater war offenbar genauso eine Plaudertasche wie sein Sohn! Sogar vom Stein der Weisen hatte er dem Grafen erzählt. Kein Wunder, dass er ihn entführt hatte!
»Gonzalo, hört mich an! Ich habe Euch doch schon gesagt, dass das Buch verloren gegangen ist!«
»Kein Wort mehr von diesem Buch! Eine schöne Ausredeist Euch da eingefallen! Jetzt, wo Ihr bei mir im Turm sitzt, wollt Ihr Euch plötzlich nicht mehr an die Prozedur erinnern. Jetzt, wo es ernst wird, schiebt Ihr alles auf ein Buch, das Euch zufälligerweise abhandengekommen ist, weil es hoppladihopp von Räubern gestohlen wurde! Merkwürdige Räuber sind das, die sich für Alchemie interessieren! Freundchen, Freundchen, Ihr verkennt Eure Lage! Heute noch zeigt Ihr mir Eure Kunst – oder – oder Ihr landet auf dem Scheiterhaufen, wie es einem Scharlatan zusteht! Ich werde Euch als Magier und Hexer verbrennen lassen! Versteht Ihr mich?«
Aus dem Turmzimmer blieb es still. Marie hielt ihr Amulett fest umklammert. Der Graf stand nur eine Armeslänge von ihr entfernt. Sie konnte seine Erregung spüren.
»Gonzalo«, hörte sie Nicholas Flamel schließlich sagen, »ich könnte mich ohrfeigen, dass ich Euch habe glauben lassen, ich könne das Gold oder vielmehr den Stein der Weisen herstellen, ohne . . .«
»Jetzt endlich sprecht Ihr ehrlich mit mir«, fiel ihm der Graf ins Wort. »Dass Ihr das bereut, das glaube ich gerne! Keiner teilt gern seinen Reichtum und seine Macht. Leider seid Ihr mein Gefangener!«
»Ihr missversteht mich schon wieder!« Flamel rang nach Worten. »Ich bereue, dass ich Euch nicht gleich von dem Buch erzählt habe! Aber es ist so! Ich kann keinen Stein der Weisen und kein Gold dieser Welt fabrizieren, bevor ich nicht das Buch entziffert habe, was ich nicht einmalmehr besitze. Verschafft mir das Rindenbuch und lasst mich zu meinem gelehrten Freund nach Santiago de Compostela ziehen –«
»Ha! Findet Ihr Eure Ausreden nicht selbst ziemlich fadenscheinig? Erst erfindet Ihr ein Buch, ohne das Ihr plötzlich zu nichts mehr fähig seid. Dann soll ich Euch auch noch damit nach Santiago ziehen lassen! Für wie dumm haltet Ihr mich? Wenn Ihr der hochgelehrte Flamel seid, dessen Ruf Euch schon vorausgeeilt ist, dann steht zu Eurem Wort! Alles, was ich in meinem Laboratorium habe, steht Euch zur Verfügung. Blei, Schwefel, Silber, Quecksilber, Töpfe, Pfannen, Destillen – und noch viel mehr. Ich habe eine neue Apparatur! Ich lasse alles in den Hof bringen!«
»Aber . . .« Flamel wollte noch einmal protestieren, doch der Graf ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Enttäuscht mich nicht! Ihr habt doch hoffentlich verstanden, was auf dem Spiel steht? Wagt es nicht, den Grafen Gonzalo lächerlich zu machen.«
»Gonzalo . . .«
»Still, ich will nichts hören! Ich erwarte von Euch nur das Beste! Rui wird Augen machen!« Mit diesen Worten wandte sich der Graf ab und lief die Treppe hinunter.
Marie schob sich zitternd hinter dem Wandvorhang hervor. Er hatte sie nicht entdeckt! Ob das Amulett sie beschützt hatte?
»Kind, bist du noch da?«, fragte Flamel leise durch die Klappe an der Tür.
»Ja«, gab Marie zurück.
»Du hast den Grafen gehört! Mein Weg ist zu Ende. Er führt zum Scheiterhaufen!«
»Aber, aber das Buch!« Marie durchzuckte ein Gedanke. »Das Buch ist nicht
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