Der Sohn des Alchemisten
kein Wort heraus.
»Überleg einmal, wem diese Speisekammer gehört! Na? Hast du eine Idee? Dann kommst du sicher auch darauf, wem das Brot und die Oliven darin gehören? Etwa einer kleinen dreckigen dahergelaufenen Magd? Nein? Richtig! Mir gehört die Speisekammer und auch jeder Brotkrumen darin!«
Jetzt kamen auch noch die beiden Knechte herbeigerannt. Marie wollte dem Müller alles erklären, aber Jakob kam ihr zuvor und fing an, irgendetwas von Räubern, Bäumen und Maultieren zu stottern.
»Maul halten!« Der Müller hörte gar nicht hin. »Weißt du was, du verstocktes Miststück? Jetzt ist Schluss!«
Marie ahnte, was jetzt gleich kommen würde. Jetzt würde der Müller einen Strick holen und sie schlagen. Aber das tat er nicht. Schnaufend stand er da und starrte sie an. Dann sagte er, und seine Stimme klang bedrohlich ruhig: »Du bist ab jetzt nicht mehr meine Magd. Du kannst gehen, wohin du willst!«
Marie riss die Augen auf. Sie sollte keine Magd mehr sein? Nicht mehr Dienstbotin auf der Mühle? Aber – was dann?
»Bitte nicht!«, flüsterte sie.
»Geh!«, sagte der Müller, »ich will dich nie wieder sehen!«
Damit drehte er den Kindern den Rücken zu. Seine zwei Knechte folgten ihm bedrückt zur Mühle. Marie spürte, wie ihr heiße Tränen in die Augen schossen. Jetzt hatte sie nicht nur ihre Eltern, sondern auch ihr zweites Zuhause verloren!
»So ein Mist«, hörte sie da Jakob hinter sich. »Erst falle ich vom Maultier, dann der Ameisenhaufen und der Sumpf und dann mache ich dir auch noch solche Probleme!«
Marie sagte nichts. Stumm starrte sie ins Wasser.
»Aber andererseits«, hörte sie Jakob weiterreden, »ande rerseits scheint mir diese Mühle sowieso nicht ein Ort zu sein, an dem man sein Leben lang bleiben möchte. Das Paradies sieht anders aus. Hör mal, Marie, hör auf zu weinen, ich will mit dir reden!«
Sie spürte, wie er sie an den Schultern packte.
»Lass doch den dummen Müller brüllen, so lange er will. Komm mit mir auf den Pilgerweg!«
Marie schluckte. Sie hatte doch bisher kaum das Tal verlassen!
»Santiago muss wunderbar sein«, fügte Jakob hinzu, als sie schwieg. »Und wenn wir meinen Vater finden, dann weiß er auch Rat, wo du bleiben kannst. Er weiß meistens Rat, glaub mir!«
Dann hielt er inne und fügte leise hinzu: »Und wenn wir meinen Vater nicht finden, dann sind wir immerhin zu zweit unterwegs, und zu zweit zu sein ist besser als allein.«
Einen Moment war alles still. Nur eine Amsel sang ihr Lied oben in den Erlen.
»Sind wir jetzt Gefährten?« Jakobs Frage klang fast bittend.
Marie wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Gesicht, hob den Kopf und lächelte.
»Ich gehe keinen Schritt mehr weiter!« Jakob stöhnte und ließ sich schwer atmend in den Schatten einer Scheune fallen. »Ich habe fünf Blasen an jedem Fuß, wahrscheinlich bluten mir schon die Zehen! Ich will mein Maultier! Und was zu essen!«
Marie lehnte sich erschöpft neben ihn an die Mauer. Die Steine waren warm von der Sonne. Den ganzen Tag waren sie gelaufen, jetzt lagen die Schatten schon tief in den Hügeln. Längst kannte sie die Namen der Höfe und der kleinen Weiler am Weg nicht mehr. Die Mühle im Erlenschlag hatten sie schon weit hinter sich gelassen.
»Meine Zunge ist ein trockener Lappen«, jammerte Jakob weiter und versuchte, den letzten Tropfen Wasser aus seiner Kürbisflasche zu saugen. »Mist. Leer.«
Marie blickte ihn verstohlen von der Seite an. Hatte Jakob nicht heute früh die Pilgerfahrt nach Santiago inden höchsten Tönen gepriesen, Räuber hin, Räuber her? Er tat ja gerade so, als sei er den ersten Tag auf Wanderschaft!
»An meinem Maultier waren Satteltaschen«, fuhr Jakob sehnsüchtig fort, während er sich die Stiefel von den Füßen riss, »und darin waren Würste und Schinken und Ziegenkäse. Und Rosinen!«
»Würste kann ich dir auch bieten«, sagte Marie und musste über sein verdutztes Gesicht lachen. Schnell öffnete sie ihr Bündel. »Meinst du, ich gehe von der Mühle fort, ohne den Müller um ein paar Dinge zu erleichtern? Brot und Äpfel hab ich auch. Und sein Messer. Man weiß ja nie, wann uns die nächsten Räuber über den Weg laufen.«
Jakob starrte sie an. »Du hast Würste? Jetzt? Hier? Für mich?«
»Für
uns
!« Marie warf ihm drei herrlich duftende Würste und ein kleines Messer zu. »Hier, solange keine Räuber da sind, kannst du probieren, wie gut man mit dem Messer Wurst schneiden kann!«
Jakob wollte gerade nach den Würsten
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