Der Sohn des Apothekers (German Edition)
Rosi, ich wollte dich nicht verletzen«, sagte
Trevisan. »Aber ich muss mit Sarah sprechen. Es ist wichtig.«
Die weichen Züge aus Rosi Meierlings Gesicht wichen und machten
erneut der Härte einer zornigen und zutiefst gekränkten Frau Platz. »Ich kann
dir nicht helfen und jetzt geh! Geh bitte!«
Trevisan nickte und wandte sich um. Er verließ Rosi Meierlings
Haus und schlug den Weg zurück zum Klosterkrug ein.
*
»Als hätten die Ratten das sinkende Schiff verlassen«, murmelte
Hanna, als sie den Dienstwagen vor der mondänen Villa des Bauunternehmers Stolz
in der Seestraße parkte. Die Häuser in der kleinen Wohnsiedlung Seeblick waren allesamt von Bauunternehmer Stolz und seiner Firma erbaut und mit einem
fetten Gewinn an reiche Geschäftsleute in der Umgebung von Hannover verkauft
worden. Er selbst hatte sich das größte Haus errichtet, einen Winkelbungalow
direkt an der Zufahrt zum Strand und dem Bootssteg. Dort lebte er zusammen mit
seiner jungen Frau. Mirko, der Sohn aus erster Ehe, studierte an einer
Berufsakademie in der Nähe von Oldenburg, hatten die Ermittlungen ergeben.
Meist verbrachte er das Wochenende zu Hause, deswegen hatten sich Hanna und
Lisa nach Tennweide begeben, um mit dem jungen Mann zu sprechen.
»Wie meinst du das?«, fragte Lisa, die ausgestiegen war und
sich in der vornehmen Wohngegend umsah.
»Na, ist dir nicht aufgefallen, dass kurz nach dem Verschwinden
der Radfahrerinnen die Dorfjugend in die weite Welt geschickt wurde?«,
antwortete Hanna. »Mirko Stolz nach Oldenburg, Sebastian Hermann nach
Düsseldorf, Carsten Rosenberg nach Marburg, eine ging nach Bad Bramstedt,
diese kleine Meierling nach Kempten und die andere sogar bis nach Australien.
Nur der Sohn vom Polizisten ist im Ort geblieben.«
Lisa nickte. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Liegt
vielleicht daran, dass damals alle in dem Alter waren, in dem sie aus der
Schule kamen und sich neu orientieren mussten. Und was willst du hier schon
werden außer Fremdenführer oder Pensionsbesitzer.«
Hanna schob sich eine Locke aus dem Gesicht. »Na ja, hast
vielleicht recht, trotzdem schauen wir uns das Früchtchen mal genauer an.«
Hanna trat vor das schmiedeeiserne Tor und klingelte. Im Haus
ertönte ein lauter Gong.
»Wie in einem hinduistischen Kloster«, murmelte Lisa.
»Also ob du schon mal bei den Hindus warst«, sagte Hanna, ehe
sich eine Frauenstimme an der Sprechanlage meldete.
»Mein Name ist Hanna Kowalski vom Landeskriminalamt, wir
müssten mit Mirko reden.«
Es dauerte eine kurze Weile, bis ein Knacken im Schloss der
Gartentür zu hören war. Hanna und Lisa traten näher. Die weiße Glastür wurde
geöffnet. Ein junger Mann in weißem T-Shirt, Jeans und Turnschuhen, die
hellblonden Haare kurz geschnitten, kam aus dem Haus. Er war in Begleitung
einer nur unwesentlich älteren Frau, Hanna schätzte sie Anfang dreißig, in
einem gelben Rock und einer weißen Bluse. Eine riesige schwarze Dogge lief
neben den beiden her.
»Ist etwas passiert?«, fragte die Frau.
Hanna schüttelte den Kopf und präsentierte ihre Polizeimarke.
»Wir wollen mit Mirko Stolz über die verschwundenen Radfahrerinnen sprechen«,
erklärte sie und zeigte auf den jungen Mann. »Ich nehme an, das sind Sie?«
Er nickte und setzte sich auf die Treppe. »Was gibt es da zu
reden, ich hab doch schon alles gesagt.«
»Mein Mann ist derzeit außer Haus, ich würde es begrüßen, wenn
Sie einen Termin mit ihm ausmachen …«
»Sie sind Frau Stolz?«, unterbrach Hanna.
»Das ist richtig, ich bin Mirkos Stiefmutter, wenn man das so
sagen kann«, antwortete die Frau mit einem Lächeln, während sie noch immer den
Hund am Halsband festhielt.
»Hören Sie, wir wollen mit Mirko sprechen und nicht mit seinem
Vater und wir können jetzt auch wieder gehen und ihn für Montag auf unsere
Dienststelle vorladen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Die Frau warf Mirko einen unsicheren Blick zu.
»Schon gut«, sagte der Junge. »Reden wir!«
»Hier?!«, fragte Lisa.
»Ist doch warm heute.«
»Also gut, Herr Stolz«, sagte Hanna. »Waren Sie schon beim
Speicheltest?«
Der junge Mann machte eine wegwerfende Handbewegung. »Warum
sollte ich?«
»Sie wurden aufgefordert«, sagte Lisa.
»Das ist freiwillig, da muss ich nicht hin.«
»Sagt wer?«
»Mein Vater und er weiß es von unserem Polizisten, der hat
gesagt, dass man nicht hingehen muss. Wer weiß, was einem die Polizei da alles
anhängen will.«
Hanna trat einen Schritt näher, blieb dann aber
Weitere Kostenlose Bücher