Der Sohn des Azteken
Giftschlange G’nda Ké auch tun. Vielleicht hat ihre Gesellschaft Pakápeti beeinflußt und ihren Haß auf Männer noch gesteigert.«
Améyatl fragte: »Und was ist mit dem, den sie im Leib trägt?«
Ich sah sie verständnislos an. »Was soll das heißen?«
»Dann hast du also noch nichts gemerkt. Man kann es erst seit kurzem sehen. Zehenspitze ist schwanger.«
»Nicht von mir«, stieß ich hervor. »Ich habe sie nicht berührt seit …«
»Ayyo, Vetter, keine Aufregung«, sagte Améyatl lachend, obwohl sie sichtlich besorgt wirkte. »Zehenspitze führt es auf diese Sache zurück, von der du gesprochen hast.«
»Es wäre nur verständlich, wenn es sie erbittert, das Bastardkind eines …«
»Es geht nicht darum, daß es ein Kind ist oder ein Bastard. Sie ist wütend, weil es ein Junge ist und sie alle Männer haßt.«
»Aber liebste Cousine, wie kann Pakápeti wissen, daß es ein Junge wird?«
»Sie spricht von keinem Jungen. Sie sagt immer nur zornerfüllt: ›Das Tepúli, das in mir wächst‹. Oder ›dieses Kuru‹, das ist das Pore-Wort für das männliche Glied.« Als ich sie nur verständnislos anstarrte, fragte sie leise: »Tenamáxtli, hältst du es für möglich, daß Zehenspitze über ihrem Kummer den Verstand verliert?«
»Ich kenne mich mit Frauen nicht aus«, sagte ich seufzend. »Deshalb kann ich auch nicht beurteilen, wann und ob sie den Verstand verlieren. Ich werde einen Tícitl zu Rate ziehen, den ich kenne. Vielleicht kann er ein Mittel verschreiben, das ihren Kummer lindert. Bis dahin sollten wir beide aufpassen, daß Zehenspitze nicht versucht, sich etwas anzutun.«
Doch es dauerte eine Weile, bis ich dazu kam, den Arzt rufen zu lassen, denn ich wurde von anderen Dingen in Anspruch genommen. Ein Wachposten vom Coyolxaúqui-Tempel erschien. Er berichtete, die gefangenen Krieger fühlten sich elend, denn sie müßten im Stehen schlafen, bekämen nichts als Brei zu essen, hätten sich schon so lange nicht gewaschen und so weiter. »Ist bis jetzt jemand erstickt oder verhungert?« fragte ich.
»Nein, Herr. Sie mögen beinahe tot sein, doch es sind hundertdreißig Männer dort angekommen, und so viele sind es immer noch. Aber selbst wir Wachen vor dem Tempel können ihren Gestank und den Lärm kaum noch ertragen.«
»Dann wechselt öfter die Wachen. Und belästige mich nicht mehr damit, es sei denn, die Verräter machen Anstalten zu sterben. Beinahe tot zu sein ist keine ausreichende Strafe für sie.«
Nochéztli kehrte von seinem Auftrag als Quimichi aus Compostela zurück. Er war etwa zwei Monate unterwegs gewesen, und ich hatte mir allmählich Sorgen gemacht, er könne zum Feind übergelaufen sein. Doch er hielt sein Versprechen und hatte viele Neuigkeiten zu berichten.
»Compostela ist inzwischen eine blühende Stadt mit sehr viel mehr Einwohnern als bei meinem letzten Besuch, Herr. Unter den Weißen sind die spanischen Soldaten am zahlreichsten. Ich schätze sie auf etwa tausend. Die Hälfte davon ist beritten. Viele Soldaten der höheren Ränge sind mit ihren Familien gekommen, und andere spanische Familien haben sich als Kolonisten angesiedelt. Alle diese Familien haben sich Häuser gebaut. Der Palast des Gouverneurs und die Kirche sind aus schön behauenen Steinen errichtet, die anderen Wohngebäude aus luftgetrockneten Tonziegeln. Es gibt einen Marktplatz, doch die Waren und Erzeugnisse dort werden von Kaufleuten und Händlern aus dem Süden in die Stadt gebracht. Die Weißen in Compostela bebauen keine Felder und haben auch keine Herden. Sie leben alle von dem Silber, das in vielen Minen in der Umgebung gefördert wird. Offensichtlich leben sie so gut davon, daß sie es sich leisten können, alle Lebensmittel und anderen notwendigen Dinge herbeischaffen zu lassen.«
Ich fragte: »Und wie viele unserer Leute leben dort?«
»Die Indiobevölkerung entspricht in etwa der weißen. Ich spreche nur von den Indios, die als Sklaven in den Häusern der spanischen Familien dienen. Es gibt auch viele dieser schwarzen Sklaven, die man Moros nennt. Wenn die Sklaven nicht bei ihren Herren untergebracht sind, leben sie in schäbigen Hütten und Schuppen am Rande der Stadt. Außerdem arbeitet eine beachtliche Zahl unserer Männer unter Tage in den Bergwerken und in Gebäuden über der Erde, die Hütten genannt werden, obwohl es keine sind. Leider wage ich nicht einmal zu schätzen, wie viele es sind, da sie sich in den Stollen abwechseln. Die eine Hälfte arbeitet am Tag, die andere
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