Der Sohn des Azteken
inzwischen zu sehr außer Atem, um noch Kriegsgeheul auszustoßen. Deshalb blieben sie stumm, während sie die Frauen auswählten. Ihre Opfer blieben natürlich nicht stumm. Die weißen Frauen flehten oder beteten laut, schrien und weinten. Manche fluchten ebenso wie die Männer. Die alten Frauen und die Kinder jammerten und weinten, solange sie konnten.
Die Schreie der Verzweiflung vermischten sich mit den anderen Geräuschen, die aus allen Richtungen kamen, zu einem infernalischen Lärm – das Splittern von Haustüren, die eingeschlagen wurden, hin und wieder der Knall einer Arkebuse, mit der ein Weißer vergeblich seine einzige Kugel abschoß, das ständige Donnern und Dröhnen der Granaten unserer Purémpe-Frauen, die sich irgendwo in der Nähe aufhielten, ja sogar das stürmische Läuten einer Kirchenglocke, mit der jemand viel zu spät und mit heldenhafter Dummheit die Stadt alarmierte.
Ich ritt in die Richtung des Geläuts, denn ich wußte, es mußte aus der Mitte der Stadt kommen. Unterwegs sah ich neben meinen unermüdlich wirkenden Kriegern und ihren Opfern viele Häuser, Ladengeschäfte und Werkstätten von Handwerkern, die einmal gut gebaute und vielleicht sogar hübsche Gebäude gewesen waren, inzwischen aber in Trümmern lagen oder sogar völlig dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Dabei handelte es sich eindeutig um das Werk unserer Frauen mit ihren Granaten. Im Schutt der Ruinen lagen ebenfalls Leichen.
Ich betrachtete ein besonders prächtiges Haus vor mir, das bestimmt einem hohen spanischen Würdenträger gehört hatte, und überlegte, weshalb es wohl nicht zerstört worden war, als ich einen lauten Warnruf auf poré hörte: »Nehmt Euch in acht, Herr!« Ich riß an den Zügeln und brachte mein Pferd zum Stehen. Im nächsten Augenblick blähte sich das Haus vor mir auf, wie es die Wangen eines Musikanten tun, der eine der Krugflöten spielt, die man ›die trillernden Wasser‹ nennt. Doch das Geräusch, das dabei entstand, ähnelte eher dem der Trommel mit dem Namen ›die das Herz herausreißt‹.
Ich zuckte heftig zusammen, mein Pferd scheute wiehernd, und ich wäre beinahe aus dem Sattel gefallen. Das Haus verschwand in einer Rauchwolke, und obwohl es zu fest gebaut war, um zu bersten, wurden Bruchstücke von Türen und Fensterläden, Teile von Möbelstücken und nicht erkennbare andere Dinge wie Blitze aus dieser Donnerwolke heraus durch die Luft geschleudert. Der Zufall wollte es, daß ich und mein Pferd nur jeweils von einem winzigen dieser Geschosse getroffen wurden, die keinen Schaden anrichteten. Als schließlich nichts mehr vom Himmel fiel, tauchte eine Frau aus der nahen Gasse auf, in der sie Schutz gesucht hatte. Es war Schmetterling. Sie trug einen leeren Lederbeutel und rauchte ein Poquietl.
»Du leistest hervorragende Arbeit«, sagte ich. »Danke für die Warnung!«
»Das waren meine letzten beiden Granaten«, sagte sie und schüttelte den leeren Beutel. Nur eine Handvoll dünner, gerollter Poquietin fiel heraus. Sie gab mir eines, ich zündete es an ihrem an, und wir rauchten kameradschaftlich, während sie neben meinem Pferd herging. Sie sagte: »Wir haben uns an Euren Befehl gehalten, Tenamáxtzin. Wir haben unsere Granaten für die wichtigen Gebäude verwendet und versucht, die größten und prächtigsten zu zerstören. Wir brauchten nur eine oder zwei an Menschen zu verschwenden. Es waren zwei berittene Soldaten. Es ist nicht viel von ihnen übriggeblieben.«
»Schade«, sagte ich. »Ich will so viele Pferde wie möglich mitnehmen.«
»Dann tut es mir leid, Tenamáxtzin. Aber es war unvermeidlich. Sie sind plötzlich aufgetaucht, als zwei meiner Kriegerinnen gerade ihre gezündeten Granaten durch ein Hausfenster werfen wollten. Sie haben Schwerter geschwungen und laut geschrien … vermutlich sollten wir uns ergeben. Natürlich haben wir das nicht getan.«
»Natürlich nicht«, sagte ich. »Ihr habt getan, was ihr tun mußtet. Das sollte kein Tadel sein, Schmetterling.« Die Kirchenglocke läutete weiter sinnlos, bis wir beide den Platz vor der Kirche und dem daneben stehenden Palast erreichten. Dann brach das Läuten unvermittelt ab. Meine Männer mit den Arkebusen waren uns in die Stadt gefolgt, um Flüchtende zu erschießen, die möglicherweise schneller rannten als unsere Krieger. Einer dieser Krieger traf den Mann, der die Glocke in dem kleinen Turm auf dem Dach der Kirche läutete, mit einem sauberen Schuß. Der Spanier, ein schwarz gekleideter Priester oder
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