Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
mit, wir wollen uns den Palast der Weißen von innen ansehen.«
    Im Erdgeschoß des Gebäudes waren die Soldaten untergebracht gewesen, und wie es zu erwarten war, herrschte dort wilde Unordnung, denn die Männer hatten ihre Quartiere überstürzt verlassen. Wir stiegen die Treppe hinauf. Oben befand sich eine Vielzahl kleiner Räume, die alle Tische und Stühle enthielten. In einigen stapelten sich Bücher, in anderen sah ich Regale voller Landkarten oder Stapel von Dokumenten. In einem Raum fand ich einen Tisch mit einem dicken Stoß feinen spanischen Papiers, einem Tintenfaß aus Hörn, einem Federmesser und einem Becher, in dem Gänsefedern steckten. Daneben lagen ein mit Tinte verschmierter Federkiel und ein Blatt, das nur halb beschrieben war. Offenbar hatte der Schreiber am Tag zuvor daran gearbeitet. Ich stand vor dem Tisch und betrachtete diese Dinge nachdenklich.
    Nach einem Augenblick sagte ich zu Nochéztli: »Ich habe gehört, daß es unter unseren Sklaven ein Mädchen gibt, das spanisch lesen und schreiben kann. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es ein Moro- oder ein Mischlingsmädchen ist. Reite sofort im Galopp zum Lager zurück, such das Mädchen und bring es, so schnell du kannst, hierher. Schick auch ein paar Männer herein, damit sie aus den Quartieren der Soldaten im Erdgeschoß alles Brauchbare herausholen. Ich werde hier auf dich und auf das Mädchen warten, nachdem ich nebenan in der Kirche gewesen bin.«
    Die Kirche von Tonalá war von ebenso bescheidener Größe und Ausstattung wie Bischof Quirogas derzeitige Kirche in Compostela. Einer der drei Männer war ein ordentlich in Schwarz gekleideter Priester, die beiden anderen waren klein und dick und sahen wie Händler aus. Sie wirkten lächerlich in ihren Nachtgewändern und den wenigen Kleidungsstücken, die sie sich vor der Flucht hatten überziehen können. Die beiden wichen vor mir bis zum Altargitter zurück, doch der Priester trat mutig vor, hob mir ein geschnitztes Holzkreuz entgegen und redete etwas in jener Kirchensprache, die ich schon früher bei meinen wenigen Besuchen der Messe gehört hatte.
    »Nicht einmal Spanier verstehen dieses unsinnige Guirigay, Vater«, sagte ich barsch. »Redet in einer vernünftigen Sprache mit mir.«
    »Also gut, du heidnischer Verräter!« rief er. »Ich habe dich im Namen und in der Sprache des HERRN beschworen, diesen heiligen Ort zu verlassen.«
    »Verräter? Ihr scheint anzunehmen, ich sei der entlaufene Sklave eines Weißen. Das bin ich nicht. Und dieser Ort gehört mir. Er ist auf dem Land meines Volkes erbaut. Ich bin hier, um ihn wieder in Besitz zu nehmen.«
    »Das ist Besitz der Heiligen Mutter Kirche! Für wen hältst du dich?«
    »Ich weiß, wer ich bin. Aber Eure Heilige Mutter Kirche hat mir den Namen Juan Británico gegeben.«
    »Großer Gott!« rief er entsetzt. »Dann bist du ein Abtrünniger, ein Ketzer! Du bist noch schlimmer als ein Heide.«
    »Weit schlimmer«, sagte ich freundlich. »Wer sind die beiden Männer?«
    »Der Alcalde von Tonalá, Don José Algarve de Sierra. Und der Corregidor, Don Manuel Adolfo del Monte.«
    »Die beiden vornehmsten Bürger der Stadt also. Was tun sie hier?«
    »Das Haus Gottes ist eine Freistätte. Eine Kirche ist ein heiliger, unverletzlicher Zufluchtsort. Es wäre Gotteslästerung, wenn ihnen hier etwas geschehen würde.«
    »Deshalb verstecken sie sich feige hinter Euren Röcken, Vater, und überlassen die Bewohner der Stadt ihrem Schicksal und den Fremden? Vielleicht haben sie aus Feigheit noch nicht einmal versucht, ihre eigenen Lieben zu schützen. Wie auch immer, ich halte nichts von Eurem Aberglauben.«
    Ich ging um ihn herum und stieß beiden Männern die Schwertspitze ins Herz.
    Der Priester rief: »Diese Herren waren hohe und geschätzte Würdenträger Seiner Majestät, des Königs Carlos!«
    »Das glaube ich nicht. Keine Majestät hätte stolz auf sie sein können.«
    »Ich beschwöre dich noch einmal, du Ungeheuer! Weiche aus dieser Kirche Gottes! Im Namen des HERRN, hebe dich mit all deinen Wilden aus dieser Gemeinde Gottes hinweg!«
    »Das werde ich tun«, sagte ich ruhig, drehte mich um und blickte durch das Tor. »Kommt mit, Vater, ich möchte, daß Ihr etwas anderes seht, das vielleicht nicht so betrüblich ist wie dieser Anblick.« Ich führte ihn vor die Kirche. Dort entdeckte ich zwischen anderen meiner Männer den zuverlässigen lyac Pozonáli, zu dem ich sagte: »Ich unterstelle diesen weißen Priester deiner Verantwortung,

Weitere Kostenlose Bücher