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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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lyac. Ich glaube, du mußt nicht damit rechnen, daß er Dummheiten macht. Bleib nur bei ihm, um zu verhindern, daß ihm einer unserer Leute etwas antut.«
    Ich nickte beiden zu und ging ihnen voraus in den Palast und die Treppe hinauf in das Zimmer des Schreibers. Ich wies auf das halbfertige Dokument und befahl dem Priester: »Lest mir das vor, wenn Ihr könnt.«
    »Natürlich kann ich das. Es ist nur eine ehrerbietige Anrede. Dort steht: ›An den Allerdurchlauchtigsten Señor Don Antonio Mendoza, Vizekönig und Gouverneur Seiner Majestät in Neuspanien, Präsident der Audienca und des Königlichen Gerichtshofes …‹ Das ist alles. Offensichtlich war der Alkalde dabei, dem Schreiber einen Bericht oder eine Anfrage an den Vizekönig zu diktieren.«
    »Danke. Das genügt.«
    »Jetzt bringst du mich auch um?«
    »Nein. Ich werde Euer Leben schonen. Dafür könnt Ihr einem anderen Pater dankbar sein, den ich einmal gekannt habe. Ich habe diesen Krieger bereits zu Eurem Begleiter und Beschützer ernannt.«
    »Dann darf ich gehen? Meinen vielen unglücklichen Pfarrkindern müssen die Sterbesakramente erteilt werden, und ich kann es nur kurz machen.«
    »Vaya con Dios, Pater«, sagte ich, und das meinte ich nicht ironisch. Ich bedeutete Pozonáli mit einer Geste, ihn zu begleiten. Dann trat ich an das Fenster und blickte auf das Geschehen unten auf dem Platz und auf die Brände, die an weiter entfernten Stellen der Stadt aufzuflammen begannen, während ich darauf wartete, daß Nochéztli mit dem Sklavenmädchen zurückkommen würde, das lesen und schreiben konnte.
    Sie war noch ein Kind und ganz gewiß kein Moro, denn ihre Haut hatte nur einen etwas dunkleren Kupferton als meine eigene. Und die Kleine war zu hübsch, als daß viel schwarzes Blut in ihren Adern hätte fließen können. Doch offensichtlich war sie eine Art Mischling, denn die Körper der Mischlingsmädchen sind in sehr frühem Alter bereits voll entwickelt. Das war bei ihr der Fall. Ich vermutete, daß es sich bei ihr um eine mehrfache Mischung handelte, von der Alonso de Molina mir einmal erzählt hatte – Pardo, Cuarterón oder was auch immer. Das schien auch zu erklären, daß sie ein gewisses Maß an Bildung besaß. Meine erste Prüfung bestand darin, daß ich sie auf spanisch ansprach: »Ich habe gehört, daß du Spanisch lesen kannst.«
    Sie verstand mich und antwortete ehrerbietig: »Jawohl, Herr.«
    »Dann lies mir das vor.« Ich wies auf das Dokument. Ohne es lange studieren oder es mühsam entziffern zu müssen, begann sie sofort und ohne Stockungen zu lesen: »›Al muy ilustrísimo Señor Don Antonio de Mendoza, visorrey é gobernador por Su Majestad en esta Nueva España, presidente de la Audiencia y la Chancellería Real …‹ Hier hört der Text auf, Herr. Der Schreiber ist nicht sehr gut, was die Rechtschreibung betrifft, wenn ich das sagen darf.«
    »Ich habe gehört, daß du diese Sprache auch schreiben kannst.«
    »Jawohl, Herr.«
    »Ich will, daß du etwas für mich schreibst. Nimm einen anderen Bogen Papier.«
    »Natürlich, Herr. Laßt mir nur einen Augenblick Zeit, um alles vorzubereiten. Die Zutaten sind zu trocken.«
    »Während wir warten, Nochéztli«, sagte ich, »geh und suche diesen Priester. Er ist zusammen mit unserem lyac Pozonáli draußen in der Menge. Bring ihn zu mir.« Das Mädchen hatte in der Zwischenzeit die tintenbeschmierte Feder zur Seite gelegt, aus dem Becher eine neue genommen und sie geschickt mit dem Federmesser angespitzt. Sie spuckte ein wenig in das Tintenfaß, rührte mit der neuen Feder die Tinte um und sagte schließlich: »Ich bin soweit, Herr. Was soll ich schreiben?« Ich blickte aus dem Fenster und überlegte kurz. Es wurde dunkler, die Zahl der Brände hatte zugenommen. Die Flammen loderten höher. Bald würde ganz Tonalá in Flammen stehen.
    Ich wandte mich dem Mädchen zu und sprach so langsam ein paar Worte, daß sie mit dem Schreiben beinahe fertig war, als ich aufhörte zu sprechen. Ich trat an den Tisch, griff über ihre Schulter und legte das Blatt des Schreibers neben das ihre. Natürlich konnte ich mit keinem von beiden etwas anfangen, doch ich erkannte, daß die Schrift des Mädchens kühner und gerader war als die krakeligen Linien des Schreibers.
    Das Mädchen fragte schüchtern: »Soll ich es Euch noch einmal vorlesen, Herr?«
    »Nein. Hier ist der Priester. Er soll es tun.« Ich wies auf das Blatt Papier. »Vater, könnt Ihr auch das lesen?«
    »Natürlich«, erwiderte er

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