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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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drehte Ehécatl in Richtung des Tors und gab ihr einen sanften Schubs. Während das Kind folgsam geradewegs auf das offene Tor zuging, hob Citláli die Hände und löste langsam die Knoten, die ihre Huipil-Bluse schlossen. Weder der Wachposten noch die anderen Männer achteten auf das Mädchen, das den Korb durch das Tor trug. Alle Blicke richteten sich auf Citláli. Der Wachposten hatte ihr offensichtlich befohlen, sich für eine gründliche Durchsuchung zu entkleiden. Das stand in seiner Macht, und Citláli tat es langsam und so aufreizend wie nur irgendeine Maátitl, um die Aufmerksamkeit aller von Ehécatl abzulenken, die inzwischen hinter den Palisaden den Blicken entschwunden war. Das war eine Wendung, auf die ich mich nicht vorbereitet hatte. Was sollte ich tun? Von meinen früheren Erkundungen wußte ich, daß sich das Tor der Festung in einer geraden Linie hinter dem Palisadentor befand. Vermutlich würde die kleine Ehécatl hindurchgehen und in das Innere der Festung gelangen. Und was dann? Ich stand inzwischen aufrecht hinter dem Baum, streckte den Kopf weit genug hervor, um das Geschehen beobachten zu können, und betastete unsicher den Gatillo meiner Büchse. Sollte ich jetzt schießen? Ich war in der Tat versucht, ein paar der Weißen zu töten, die sich mit gierigen Blicken um Citláli drängten, die inzwischen von der Hüfte aufwärts nackt war. Ich sah nur ihren wohlgeformten Rücken, doch ich wußte, daß ihre Brüste einen verführerischen Anblick boten. Immer noch langsam und aufreizend begann sie, das Band zu lösen, das ihren Rock hielt. Mir kam es vor – und den grinsenden Zuschauern möglicherweise ebenfalls –, als vergehe eine Ewigkeit, bis der Rock schließlich auf die Erde fiel. Danach brauchte Citláli noch einmal so lange, um ihr Tochómitl-Untergewand aufzuwickeln. Der Wachposten trat einen Schritt näher. Die anderen Männer drängten sich hinter ihm, als Citláli endlich das Tuch fallen ließ und nackt vor ihnen stand.
    In diesem Augenblick ertönte irgendwo weit im Innern der Palisade, in der eigentlichen Festung, ein dumpfer Knall, und eine schwarze Rauchwolke stieg auf. Die Männer zuckten zusammen und drängten sich dabei noch näher um Citláli. Doch als es in der Festung noch einmal donnerte und dann ein drittes Mal, drehten sie sich um und starrten mit offenen Mündern auf das Schauspiel, das sich ihnen bot. Die roten Dachziegel der Festung hüpften und tanzten, und ein paar fielen herunter. Das immer noch nachhallende dreimalige Dröhnen war nur ein Vorspiel gewesen, so wie sich der große Vulkan Citlaltépetl vor einem zerstörerischen Ausbruch manchmal drei- oder viermal räuspert. Im nächsten Augenblick flog die Festung mit einer ohrenbetäubenden Detonation in die Luft, die man überall im Tal hören mußte.
    Das ganze Dach hob sich von den Mauern und barst in tausend Stücke, so daß die Balken und Ziegel hoch in den Himmel geschleudert wurden. Eine gewaltige gelbrot-schwarze Wolke aus Flammen, Rauch, Funken und nicht erkennbaren Bruchstücken schoß aus dem Innern der Festung empor. In ihrem Sog flogen Menschen und Teile menschlicher Leiber durch die Luft. Ich war sicher, meine gefüllten Pulver-Bälle konnten diese Zerstörung nicht angerichtet haben. Die kleine Ehécatl mußte ungehindert bis zu dem Raum vorgedrungen sein, in dem das Schießpulver der Festung lagerte oder andere leicht entzündbare Vorräte. Der Korb mit meinen Bällen war explodiert, als das Kind an der richtigen Stelle stand. Ich fragte mich flüchtig, ob vielleicht Huitzilopóchtli, unser Kriegsgott, Ehécatl geführt hatte. Der Geist meines toten Vaters? Oder Ehécatls eigenes Tonáli?
    Doch ich konnte mich solchen Überlegungen nicht lange hingeben. Als die Trümmer der Festung in die Luft flogen, taumelten und schwankten die Menschen vor den Palisaden, auch der Wachposten und Citláli, als würden sie von schweren Schlägen getroffen. Mehrere Männer verloren das Gleichgewicht und stürzten zu Boden. Citlális Kleider, die auf der Erde gelegen hatten, wurden vom Luftstrom erfaßt und mitgerissen. Ich konnte die Ursache für diese Vorkommnisse nicht erkennen. Doch plötzlich hatte ich den Eindruck, jemand habe mir unvermittelt mit hohlen Händen auf die Ohren geschlagen. Ein mächtiger Windstoß von der Gewalt einer stürzenden Steinmauer traf meinen Ahuéhuetl und alle anderen Bäume in der Umgebung. Laub, Zweige und kleine Äste flogen durch die Luft. Die Mauer aus Wind verschwand so

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