Der Sohn des Azteken
viele bedauerliche Verluste erlitten, die leere, nie wieder gefüllte Stellen in meinem Herzen hinterließen. Citlális Tod konnte ich nie verwinden. Ich habe sie als meine Geliebte bezeichnet, und in körperlicher Hinsicht war sie das. Außerdem war sie liebenswert und fürsorglich. Kein Wunder also, daß ich lange untröstlich war und unter dem Verlust litt. Doch in Wahrheit habe ich sie niemals rückhaltlos geliebt. Das wußte ich damals, und ich weiß es heute noch besser, denn zu einer späteren Zeit liebte ich von ganzem Herzen. Selbst wenn ich völlig und bis über beide Ohren in Citlali verliebt gewesen wäre, so hätte ich es doch nie über mich gebracht, sie zu heiraten. Zum einen war sie vor ihrer Beziehung zu mir die Frau eines anderen gewesen. Ich war sozusagen der Zweitbeste. Zum anderen hätte ich, das traurige Beispiel von Orne Ehécatl ständig vor Augen, nie auf eigene Kinder von ihr hoffen können. Ich bin sicher, Citlali war sich meiner Gefühle oder der Unzulänglichkeit meiner Gefühle durchaus bewußt. Doch sie ließ sich niemals auch nur andeutungsweise etwas anmerken. Sie hatte gesagt: ›Ich würde alles tun …‹, und das bedeutete, sie würde für mich sterben, wenn es notwendig sein sollte. Das und noch mehr hatte sie getan. Dadurch, daß sie meinen unvergeßlichen Abschiedsgruß an die Stadt Mexico so erfolgreich überbracht hatte, war ihr und Ehécatl nicht nur meine Dankbarkeit gewiß, sondern auch die der Götter. Ich habe darauf hingewiesen, daß für Ehécatl keine Hoffnung bestanden hätte, der Verdammnis im ewigen Nichts von Míctlan zu entrinnen – und für Citlali ebenfalls nicht, denn sie hatte ein Kind geboren, das mit einem so schweren Makel behaftet war, daß sich jeder unserer Priester geweigert hätte, diese Mißgeburt als Opfer für einen Gott anzunehmen. Doch nun war es Citlali gelungen, beide, Mutter und Kind, zu opfern und gleichzeitig vielen der fremden weißen Männer das Leben zu nehmen. Diese Tat war eines heldenhaften Kriegers würdig und würde mit Sicherheit allen unseren Göttern gefallen. Deshalb war ihr und Ehécatl ein ewiges Leben in Sorglosigkeit und Überfluß gewiß. Ich wußte, sie würden in der Ewigkeit der anderen Welt glücklich sein. Ich hoffte sogar, die Götter würden in ihrer Güte Ehécatl Augen schenken, damit sie die Herrlichkeit des Paradieses sehen konnte, in das sie eingegangen waren.
13
Unser Volk kennt ein Sprichwort: ›Ein Mann, der nicht weiß, wohin er geht, muß nicht fürchten, vom Weg abzukommen‹.
Ich hatte nur ein Ziel. Ich wollte mich möglichst weit von der Stadt Mexico entfernen, bevor ich mich nach Norden in Richtung der nicht-unterworfenen Länder wandte. Deshalb nahm ich von Tlácopan aus die Straße, die nach Westen führte. Irgendwann befand ich mich in Michihuácan, der Heimat der Purémpe. Dieses Volk gehörte zu den wenigen in der EINEN WELT, die von den Mexica niemals unterworfen oder zu Tributleistungen verpflichtet worden waren. Der Hauptgrund für die erfolgreiche Unabhängigkeit von Michihuácan in jener Zeit lag darin, daß die Handwerker und Waffenschmiede das Geheimnis der Herstellung eines braunen, so harten und scharfen Metalls kannten, daß die daraus geschmiedeten Klingen im Kampf den brüchigen Obsidianwaffen der Mexica überlegen waren. Bereits nach wenigen fehlgeschlagenen Versuchen, Michihuácan zu unterwerfen, gaben sich die Mexica mit einem Waffenstillstand zufrieden. Danach trieben beide Staaten freien oder nahezu freien Handel miteinander, denn die Purémpecha verrieten keinem anderen Volk der EINEN WELT das Geheimnis ihres außergewöhnlichen Metalls. Natürlich ist es inzwischen kein Geheimnis mehr. Die Spanier erkannten darin auf Anhieb Bronze, wie dieses Metall bei ihnen heißt. Die braunen Klingen konnten gegen den noch härteren und schärferen Stahl des weißen Mannes so wenig bestehen wie gegen das weichere Blei, das mit Hilfe des Pulvers aus Donnerstöcken und Donnerrohren abgeschossen wurde.
Trotzdem setzten sich die tapferen Purémpecha selbst mit ihren unterlegenen Waffen erbitterter gegen die Spanier zur Wehr als jedes andere Volk, in dessen Land sie eingefallen waren. Sobald die Weißen das Gebiet des jetzigen Neuspanien erobert und gesichert hatten, führte einer ihrer grausamsten und habgierigsten Kapitäne, ein Mann namens Guzmán, eine Streitmacht von der Stadt Mexico aus nach Westen – auf demselben Weg, auf dem ich gerade ging. Er beabsichtigte, für sich
Weitere Kostenlose Bücher