Der Sohn des Azteken
plötzlich, wie sie gekommen war, aber hätte ich nicht hinter dem Baum gestanden, wäre das Schießpulver von meiner Cazoleta gefegt worden, und ich hätte die Arkebuse nicht mehr verwenden können. Die Männer vor dem Tor fanden ihr Gleichgewicht wieder und starrten voll Entsetzen auf die Verwüstungen hinter den Palisaden, auf die hoch auflodernden prasselnden Flammen und auf die Dinge – Steine, Holz, Waffen und ihre Kameraden –, die buchstäblich vom Himmel regneten. Die Männer, die auf die Erde fielen, standen nicht mehr auf. Sie wurden unter Trümmern begraben, die durch die Wucht der Explosion nach allen Seiten flogen.
Der Wachposten begriff als erster, wer für die Katastrophe verantwortlich war. Er starrte Citláli mit wutverzerrtem Gesicht an. Citláli drehte sich um und rannte in meine Richtung. Der Wachposten zielte mit seiner Büchse auf ihren Rücken.
Ich zielte auf ihn und drückte ab. Meine Arkebuse funktionierte wie erwartet mit einem Knall und einem Rückstoß, der meine Schultern gefühllos werden ließ und mich ein oder zwei Schritte zurückwarf. Ich habe keine Ahnung, wohin meine Bleikugel flog, ob sie den Wachposten traf oder einen der anderen, denn der blaue Rauch meiner Büchse nahm mir den Blick. Doch leider konnte ich nicht verhindern, daß der Wachposten seine Waffe abfeuerte. Citláli rannte auf mich zu. Im nächsten Augenblick wurde ihr ganzer Oberkörper zu einer roten Blüte. Sie stürzte und blieb reglos liegen.
Es gab weder sichtbare noch hörbare Anzeichen für eine Verfolgung, als ich den Hügel hinunter floh. Offenbar war der Schuß aus meiner Waffe ungehört geblieben, so wie ich es im allgemeinen Tumult erwartet hatte. Falls ich tatsächlich jemanden getroffen hatte, nahmen die Überlebenden vermutlich an, die in weitem Bogen durch die Luft fliegenden Trümmerteile der Festung seien dafür verantwortlich.
Am Seeufer blieb ich nicht stehen, um auf ein Acáli zu warten. Ich watete über die Schlammbänke und durch das knietiefe trübe Wasser zurück zur Stadt. Dabei blieb ich im Schutz der Stützpfähle des Aquädukts, damit man mich weder vom einen noch vom anderen Ufer sehen konnte. Nachdem ich die Insel erreicht hatte, mußte ich allerdings eine Weile warten, bevor ich mich unbemerkt unter die Menschenmenge mischen konnte, die sich dort versammelt hatte. Die Leute redeten aufgeregt miteinander und starrten verwundert auf die turmhohe Rauchwolke, die immer noch über dem Heuschreckenberg hing.
Die Straßen waren beinahe menschenleer, als ich in das Viertel San Pablo Zoquipan und zu dem Haus eilte, das Citláli und ich so lange geteilt hatten. Ich bezweifelte, daß mir der Spion der Kathedrale immer noch auf den Fersen war. Er stand bestimmt wie beinahe alle anderen Einwohner der Stadt am See. Aber falls er mir folgte, war ich entschlossen, ihn zu töten.
Im Haus lud ich die Büchse, um für den Notfall bereit zu sein. Dann legte ich mir den Tragegurt mit dem Bündel meiner Habe, das ich klugerweise bereits gepackt hatte, um die Stirn. Sonst nahm ich aus dem Haus nur unsere wenigen Ersparnisse in Form von Kakaobohnen, Kupferblech und den verschiedensten spanischen Münzen mit, sowie den Sack Salpeter, den einzigen Bestandteil des Schießpulvers, der sich möglicherweise schwer beschaffen lassen würde. Aus einem Seil knüpfte ich eine Schlinge für meine Büchse, damit ich sie unauffällig unter dem Bündel und dem Sack tragen konnte. Auf der Straße nahm keiner der Vorübergehenden von mir Notiz. Wenn ich von Zeit zu Zeit zurückblickte, sah ich niemanden, der mir folgte. Ich ging nicht in nördlicher Richtung zur Tepayáca-Dammstraße, über die meine Mutter, mein Onkel und ich vor so langer Zeit in die Stadt Mexico gekommen waren. Falls man Soldaten zu meiner Verfolgung ausschickte, würde der Notarius Alonso, von seinem Gewissen getrieben, bestimmt darauf hinweisen, daß ich mit größter Wahrscheinlichkeit die Richtung nach Aztlan, von dem ich ihm erzählt hatte, einschlagen werde. Deshalb nahm ich den Weg nach Westen und verließ die Stadt Mexico über die Dammstraße, die zur Stadt Tlácopan führt. Als ich dort festen Boden betrat, blieb ich nur so lange stehen, um die geballten Fäuste in Richtung der Stadt zu heben, die meinen Vater und meine Geliebte getötet hatte. Damals schwor ich mir, daß ich zurückkommen und mich rächen werde.
In meinem Leben haben sich viele Dinge ereignet, die mir schwer auf dem Herzen lasten. Citlális Tod gehört dazu. Ich habe
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