Der Sohn des Azteken
bringen, ungehindert ein und aus. Am Tor steht nur ein einziger Soldat Wache. Der kümmert sich um nichts. Er hält niemanden an, nicht einmal die Maátime. Vermutlich glauben die Spanier, sie können sich diese Nachlässigkeit leisten, denn welcher Mensch, der bei Verstand ist, würde versuchen, in einer Militärfestung Schaden anzurichten?«
»Wer außer mir, Citláli, der tapfersten aller Frauen?« rief sie scherzhaft. »Tenamáxtli, ich bin nicht bei Verstand, wenn ich das wage.«
»Wenn ich dir alles erklärt habe, wirst du sehen, wie ungefährlich mein Plan ist. Ich kann nicht durch das Tor in der Palisade gehen, ohne angehalten zu werden. Bestimmt würde man mich festnehmen. Aber du kannst es.«
»Soll ich mich als eine Maátitl ausgeben? Ayyo, sehe ich wirklich wie eine Dirne aus?«
»Wohl kaum. Du bist weit hübscher als eine von denen. Du wirst einen Korb mit Früchten tragen und Ehécatl an der Hand halten. Nichts wirkt harmloser als eine junge Mutter, die mit ihrem Kind durch den Wald spaziert.
Wenn dich jemand anspricht, dann behauptest du, eine der Maátime ist deine Cousine. Du willst ihr die Früchte als Geschenk bringen. Oder du sagst, du hoffst, die Früchte an die Rekruten zu verkaufen, weil du das Geld für dein behindertes Kind brauchst.« Noch ehe sie ihren Einwand aussprechen konnte, fügte ich schnell hinzu: »Ich bringe dir genug spanische Worte bei, damit du das sagen kannst. Niemand wird dich aufhalten. Im Innern der Festung stellst du deinen Korb einfach ab und gehst langsam wieder hinaus. Stell ihn möglichst in die Nähe von etwas Brennbarem.«
»Einen Korb mit Früchten? Die Tonbälle sehen nicht nach Früchten aus.«
»Laß mich ausreden. Hier, siehst du? Ich schiebe in die Öffnung dieses einen Balls ein Poquietl, das so lang ist wie mein Unterarm. Ich werde es anzünden, bevor du zum Tor der Kaserne gehst. Die Glut wird eine ganze Weile brauchen, bevor sie den Ball erreicht. Bis dahin bist du mit Ehécatl wieder draußen bei mir. Wenn der eine Ball explodiert, wird er die anderen drei zünden. Das müßte eine gewaltige Explosion geben.« Citláli nickte langsam. »Wenn die Bälle getrocknet und steinhart sind, werde ich sie in einen deiner hübschen kleinen Körbe legen und sie mit Früchten vom Markt zudecken.« Ich machte eine Pause und sagte mehr zu mir als zu Citláli. »Es sollten Coyacapúli-Früchte sein. Ich muß versuchen, welche mit Würmern zu finden.«
»Wie?« fragte Citláli verwirrt.
»Ein persönlicher Scherz, weiter nichts …«Ich lachte beruhigend und fuhr fort: »Coyacapúli-Früchte sind leicht, sie machen den Korb nicht zu schwer. Ich werde ihn bis zur Festung tragen. Am ersten sonnigen Tag verlassen wir drei das Haus und machen einen Ausflug in Richtung Westen über die Insel. Ich trage den Korb, du führst Ehécatl an der Hand …«
Das taten wir ein paar Tage später auch. Wir waren alle drei weiß gekleidet und benahmen uns wie unschuldige und unbekümmerte Spaziergänger. Auf einen Beobachter hätten wir wie eine glückliche Familie gewirkt, die unterwegs war, um irgendwo im Freien an einem hübschen Platz etwas zu essen. Ich vermutete, daß es in der Tat einen interessierten Beobachter gab – den Spion im Dienst der Kathedrale.
Außer dem Korb trug ich unter dem Mantel meine Arkebuse. Ich hatte mir den Schaft unter den Arm geklemmt, so daß sie senkrecht nach unten hing. Das zwang mich, etwas steif zu gehen, aber die Waffe blieb auf diese Weise unsichtbar. Ich hatte sie vorher nach den Anweisungen des jungen Vogelstellers geladen und eine großzügig bemessene Menge Schießpulver, Stoffstückchen und eine Bleikugel in das Rohr gefüllt. Die Katzenpfote hielt einen Splitter Falschgold, und die Waffe brauchte nur eine Prise Pulver auf dem kleinen Cazoleta-Plättchen, um ihr tödliches Geschoß abzufeuern. Ich wußte nicht, wie ich zielen sollte, außer sie irgendwie in die Richtung des Opfers zu halten. Wenn die Arkebuse ihren Dienst tat und mir das Glück günstig gesinnt war, würde meine Bleikugel tatsächlich einen spanischen Soldaten oder Rekruten treffen und verwunden. Ich versuchte, den Spion abzuschütteln, indem ich am Ufer einen Fährmann mit seinem Acáli herbeiwinkte. Ich ließ uns zuerst nach Süden, in Richtung der Blumengärten von Xochimilco bringen – manchmal machen sogar spanische Familien Tagesausflüge dorthin –, bis ich sicher war, daß uns kein anderes Acáli folgte. Dann wies ich den Fährmann an, die Richtung zu
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