Der Sohn des Donnergottes
»Bruder« Rami faul und apathisch auf dem Wohnzimmersofa und krümmte die nackten Zehen. Er machte keine Anstalten, sich zu erheben, obwohl er sah, daß Gäste gekommen waren.
Rutja befahl ihm aufzustehen.
»Was hast du überhaupt noch hier verloren? Kapierst du nicht, daß ich es nicht ertrage, wenn sich Typen wie du hier einnisten?«
Rami behauptete, daß er schon seit Tagen nach Helsinki fahren wollte, aber die Frauen hatten seine Schuhe und seine Geldbörse konfisziert. Man hielt ihn als Köder für das Gespenst auf Ronkaila fest.
»Mensch Alter, glaubst du vielleicht, ich latsche barfuß durch die Stadt, oder was?«
»Du Weichei!«
Rutja ereiferte sich. Er winkte Maurer Sivakka und Installateur Hannula herbei, deutete auf Rami und machte eine eindeutige Geste, aus der die Männer schlossen, daß sie dem Burschen Beine machen sollten. Und das taten sie. Rami nahm auf der Stelle die Beine unter die Arme, seine nackten Fußsohlen blitzen, als er durch die Birkenallee davonrannte.
»Der hat keine Schuhe gebraucht«, sagte Maurer Sivakka, als er mit Hannula vom Beinemachen zurückkehrte.
Sivakka und Hannula prüften die Öfen und Schornsteine im neuen Haus. Sie sagten, alles sei in gutem Zustand. Psychiater Onni Osmola sah sich die Wohnstube an und meinte, daß man mit ein paar kleinen Veränderungen daraus ein Patientenzimmer für mindestens zehn Hysteriker machen könnte, bei Einbau von Trenn- und Zwischenwänden vielleicht sogar für fünfzehn.
Als Sirkka den Gästen Kaffee eingoß, schaute Steuerprüferin Suvaskorpi sie prüfend an. Sie wußte, daß Sirkka als eine Art Freundin von Sampsa Ronkainen nach Ronkaila gekommen war, ja offiziell galt sie sogar als Lebensgefährtin. Sie schien aber keine ernsthafte Konkurrenz zu sein, stellte Frau Suvaskorpi mit Genugtuung fest. Insgeheim nahm sie sich vor, diesem blassen Frauenzimmer nicht zu gestatten, ihre eigene gute Gottesbeziehung zu Rutja Ronkainen, dem Sohn des Donnergottes zu stören.
»Danke, aber ich nehme keine Sahne«, sagte sie ein wenig spitz zu Sirkka.
Nach dem Kaffeetrinken führte Rutja seine Jünger in den alten Teil hinüber, wo er ihnen seine göttliche Gestalt vorstellen wollte, in welcher sich zur Zeit der Hausherr Sampsa Ronkainen befand. Sie stiegen die Treppe hinauf und betraten die Bibliothek.
Rutja war ein wenig verblüfft, als er Sampsa in ein lebhaftes Gespräch mit Pfarrer Salonen vertieft antraf. Der Pfarrherr trank Tee, Sampsa saß ihm gegenüber, hatte sich selbst aber nichts eingeschenkt. Götter haben weder Hunger noch Durst, wie man weiß. Die Speisen, die man ihnen opfert, sind im Himmel keineswegs lebensnotwendig, die Götter rühren sie kaum an, ihre Bedeutung liegt vielmehr darin, den flammenden Glauben des Opfernden unter Beweis zu stellen.
Sampsa machte den Sohn des Donnergottes mit dem Pfarrherrn bekannt.
»Guten Tag, Herr Pfarrer. Wir sind uns schon einmal begegnet, ich war kürzlich in Ihrer Kirche. Vielleicht erinnern Sie sich? Sie beklagten sich darüber, daß die Leute nicht mehr in die Kirche gehen, sondern mehr für Pferderennen übrig haben.«
Der Pfarrherr erinnerte sich gut an die Begegnung. Sie begrüßten sich herzlich. Salonen erzählte, tagtäglich lange Gespräch mit Sampsa Ronkainen zu führen, der zur Zeit die Gestalt des Sohns des Donnergottes angenommen hatte. Der Pfarrherr gab zu, selbst einen heftigen religiösen Kampf durchlaufen zu haben, dessen Resultat für die christliche Wertewelt vernichtend ausgefallen war. Er hatte sich dem einzig wahren Glauben zugewandt, dem an Ukko Obergott. Den letzten Anstoß dazu hatte Salonen erhalten, nachdem er eine Gemeindeveranstaltung organisiert hatte, die sich gegen das Heidentum richtete. Nur zwei senile alte Weiber waren erschienen, um die Botschaft zu hören. Daraus hatte der Pfarrherr geschlossen, daß es weder Jesus noch dem Christengott sonderlich darauf ankam, ob der Pfarrer in einer Gemeinde wie Suntio nun an sie glaubte oder nicht.
»Selbstverständlich sind auch die tagtäglichen Grundsatzdiskussionen mit Sampsa in Ihrem Körper für meine Umkehr förderlich gewesen.«
Sampsa fiel ihm ins Wort.
»Am Anfang war der Herr Pfarrer schon skeptisch, aber als ich ihm alles erzählt hatte und ihm auch noch die Kultfigur auf dem Gestaltwechselfelsen gezeigt hatte, schwand sein Argwohn. In Salonen hättest du einen guten Helfer, Rutja, falls du theologisches Wissen und Erfahrung benötigst.«
Mit leuchtenden Augen erklärte Pfarrherr Salonen: »Nie
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