Der Sohn des Haeuptlings
Rittershude in München sei. So wäre der kleine Spaziergang in das fremde Haus nur ein Kinderspiel.
„Unser Fremdenverkehrsverein hatte mir in München eine Pension in Schwabing besorgt“, fuhr Bademeister Pohmann fort. „Dort wartete beim Portier bereits ein gut verschlossener Briefumschlag auf mich, als ich ankam. Er enthielt die Papiere einer Firma für den Verleih von Mietwagen, eine Zulassung, den Schlüssel und den Hinweis, daß der betreffende Wagen gleich um die Ecke neben einer Toreinfahrt abgestellt sei. Es war ein grauer VW-Golf, und auf Grund der Autonummer, die ja in den Papieren stand, fand ich ihn auch sofort. Ich ließ mir aber Zeit, weil ich ja nicht wollte, daß man auf mich aufmerksam wurde. Ich packte also in aller Ruhe in dem Pensionszimmer meine mitgebrachten Sachen aus, tat vor meinen Skatbrüdern noch so, als wolle ich mich ein wenig umschauen und mir die Füße vertreten. Für später verabredete ich mich mehr oder weniger zwanglos mit zwei oder drei verschiedenen Gruppen zum Abendessen. In Wirklichkeit setzte ich mich dann aber in den Mietwagen und fuhr durch die Nacht nach Bad Rittershude zurück —“
„Der Professor hatte Fahrkarten für den Sonderzug um sechs Uhr achtunddreißig“, fuhr der Kommissar fort. „Die Abfahrtszeit hatte dieser Herr Müller in der Milchbar von Frau Bandel gehört, und Sie hatten, gleichfalls von Frau Bandel, diese Zeit bei einem Gespräch im Frisörsalon Treutlein bestätigt bekommen. Sie waren fast eine Stunde früher wieder in der Nähe der Stadt, wie Sie uns schon erzählt haben, und warteten irgendwo. Schließlich parkten Sie den grauen Mietwagen dicht beim Haus des Professors, und als Sie sicher sein konnten, daß sein Sonderzug abgefahren war, sind Sie dann eingebrochen. Es regnete stark, und Sie hatten sich Handschuhe angezogen —“
„Ja, es regnete stark, und ich hatte mir Handschuhe angezogen“, wiederholte Bademeister Pohmann folgsam. „Über die Schuhe hatte ich mir Plastikbeutel gebunden, wie es mir Herr Müller befohlen hatte.“
„Sie sind ziemlich mühelos ins Haus gekommen“, fuhr
Herr Roland fort. „Sie haben sich auch ziemlich schnell zurechtgefunden, wie Sie vorhin gesagt haben. Aber dann passierte plötzlich etwas Unerwartetes —“
Der Kriminalkommissar setzte sich auch auf einen Stuhl. Überraschenderweise schien er mehr betrübt als verärgert zu sein.
Herr Pohmann hatte kurz aufgeblickt. Jetzt fuhr er fort: „Auf einmal höre ich ein Geräusch. Licht kommt vom ersten Stock her, ich will mich verstecken, da steht der Professor im Schlafrock und mit einer Pistole in der Hand oben auf der Treppe. Ich war wie vom Schlag gerührt.“
„Vom Schlag gerührt! Schön, das sagt man so dahin“, bemerkte Kriminalassistent Specht so kalt wie eine Hundeschnauze. „Aber von so etwas erholt man sich doch in zwei oder drei Sekunden. Wieso sind Sie dann nicht einfach getürmt?“
„Ich hab’ natürlich angenommen, daß mich der Professor erkannt hat“, antwortete Herr Pohmann. „Wenn ich davongelaufen wäre, hätte er mich bestimmt angezeigt —“
„Sie sind also geblieben“, stellte der Kriminalkommissar fest. „Daraufhin hat der Professor einen Schuß abgegeben —“
vermutlich keinen gezielten, sondern einen Schreckschuß“, unterbrach Herr Specht. „Und dann ist er weiter die Treppe heruntergekommen.“
„Ja, bis zu der untersten Stufe“, ergänzte der Bademeister. „Dort ist er plötzlich gestolpert, gestürzt und dann bewegungslos liegengeblieben.“
„Sie haben natürlich nicht daran gedacht, einen Arzt zu rufen?“, fragte Herr Specht und wirkte dabei so harmlos, als würde er sich nach den Kopfschmerzen eines Schmetterlings erkundigen.
„Im ersten Augenblick vielleicht“, gab Herr Pohmann zu. „Aber ganz Bad Rittershude war ja ausgeflogen —“
„Unsinn“, mischte sich Polizeimeister Kalender ein. „Bei der Feuerwehr und im Krankenhaus gab es selbstverständlich einen Notdienst.“
„Vor allem war ich aber sicher, daß jede Hilfe zu spät gekommen wäre“, meinte Herr Pohmann leise.
„Da waren Sie ganz sicher?“ fragte Kriminalkommissar Roland.
„Ich bin schließlich in Erster Hilfe ausgebildet“, gab der Bademeister zur Antwort. „Ich hab’ eine gute Viertelstunde gewartet, und dann wußte ich Bescheid.“
„Und warum sind Sie jetzt nicht endlich weggelaufen?“ fragte Herr Specht.
Als Herr Pohmann schwieg, ergriff der Kriminalkommissar wieder an seiner Stelle das Wort.
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