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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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mach die Schnauze auf“, grollte Emil Langhans, der wirklich so hoch aufgeschossen war, wie es sein Name vermuten ließ. Er war der Klassensprecher der 8 B und schob gerade einen Kaugummi zwischen seinen Zähnen von einer Seite zur anderen. Seine Vorliebe für Kaugummi hatte er von Paul Nachtigall, dem Boß der Glorreichen Sieben, übernommen.
    Die Klasse verfügte sich währenddessen in ihre Bänke.
    „Er hat einen nagelneuen Anzug an“, platzte jetzt Karlchen Kubatz heraus. „Piekfein, sag’ ich euch, und dazu sollte uns was einfallen, wollte ich vorschlagen.“
    „Sag mal, bist du überhaupt noch bei Groschen?“ fragte ein Junge mit einer kleinen Glasperle im linken Ohrläppchen. „Purzer in neuen Klamotten, das ist so unmöglich wie — wie —“, er kam ins Stottern, weil ihm kein passendes Beispiel einfiel.
    „Du mußt Tomaten auf deinen Linsen gehabt haben“, bemerkte Emil Langhans sachlich.
    „Seitdem wir Purzer kennen, kommt der in seinem grauen Flanellanzug“, fügte Manuel Kohl noch hinzu.
    Von draußen war jetzt bereits der Hall der Schritte zu hören. Tack — tack — tack —
    Sie kamen immer näher.
    Gleich mußten sie die Tür erreichen.
    „Aber wenn es wirklich stimmt“, sagte Emil Langhans noch ganz schnell, „dann machen wir Zirkus. Einverstanden?“
    „Einverstanden“, murmelte die ganze 8 B, und fast im gleichen Augenblick ging die Tür auf, und Studienrat Dr. Purzer grüßte vergnügt: „Guten Morgen, die Herren!“
    „Guten Morgen, Herr Studienrat“, grüßte die Klasse zurück.
    „Ein Wetterchen zum Verlieben“, stellte Herr Purzer fest. Er warf einen Stapel Hefte und zwei Bücher auf das Katheder. Dann rieb er sich genußvoll die Hände und machte zwei Schritte zu den weit geöffneten Fenstern. „Sie ist uns wiedergeschenkt, und es gibt sie wirklich noch.“ Er blickte durch die Äste des Kastanienbaumes in den strahlend blauen Himmel. „Die Sonne, meine ich. Fast mußte man befürchten, sie sei für immer abhanden gekommen.“ Jetzt atmete er tief und pumpte seine Lunge voll Luft wie ein Maikäfer vor dem Abflug. „Gott sei’s getrommelt und gepfiffen, eine Luft wie Samt und Seide!“
    Studienrat Dr. Purzer trug tatsächlich einen neuen Anzug. Dunkelblau, mit einem ganz feinen, helleren Nadelstreifen in derselben Farbe. Dazu eine modische Krawatte mit Kreisen und Punkten.
    Aber es war nun nicht so, als wolle er sich wie eine Schaufensterpuppe vorführen.
    Er bewegte sich vielmehr so selbstverständlich, als würde er wie immer seinen gewohnten Flanellanzug tragen, und im Augenblick freute er sich wirklich und ganz ehrlich über das kleine Wunder, das die Natur so im Handumdrehen über die Stadt Bad Rittershude hingezaubert hatte.
    Trotzdem lehnte die 8 B wie in tiefen Theatersesseln in ihren Bänken, hatte die Arme verschränkt und genoß den Auftritt ihres Klassenlehrers mit vergnügtem Schmunzeln, das sie allerdings hinter sechsundzwanzig wohlwollenden Pokergesichtern versteckte.
    „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“, zitierte Dr. Purzer, „durch des Frühlings holden, belebenden Blick-“, er blinzelte durch die Gläser seiner dicken Hornbrille zu seinen Schülern und fragte: „Na?“
    „Goethe?“ vermutete Karlchen Kubatz nach einer Weile vorsichtig.
    „Goethe ist fast immer richtig“, erwiderte Herr Purzer, lächelte dabei und blickte weiter fragend um sich.
    „Irgendein Gedicht von ihm?“ meinte Manuel Kohl zaghaft.
    „Falsch geraten.“
    „Vielleicht aus seiner Iphigenie?“ versuchte es Emil Langhans.
    „Stimmt auch nicht“, meinte Dr. Purzer. „Aber immerhin weißt du, daß Goethe die Iphigenie geschrieben hat.“
    „Sollte es etwa aus dem Faust sein?“ fragte jetzt wieder Karlchen Kubatz.
    „Ausgezeichnet“, lobte der Studienrat wie ein Quizmaster im Fernsehen. „Der Kandidat hat hundertfünfzig Punkte.“ Dabei holte er bereits sein erbsengrünes Notizbuch aus der Jackettasche, und von diesem Augenblick an hatte seine Stimme wieder den sachlichen und knochentrockenen Klang, wie ihn die Klasse gewohnt war. „Mein Verbrauch an roter Tinte beim Korrigieren eurer Klassenarbeit ist leider wieder einmal erheblich gewesen“, bemerkte er, ohne eine Miene zu verziehen, und blickte auf. „Was gibt’s, wenn ich fragen darf?“
    Emil Langhans hielt seinen rechten Arm ausgestreckt in der Luft.
    „Etwas in deiner Funktion als Klassensprecher?“ fragte Herr Purzer höflich.
    „Privat, wenn Sie gestatten.“
    Die Klasse hielt den Atem

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