Der Sohn des Haeuptlings
„Sie wollen sich jetzt plötzlich daran erinnert haben, daß der Professor oft und manchmal ohne Ankündigung auf Reisen ging. Auch das hatten Sie im Frisörsalon Treutlein aus dem Munde von Frau Bandel gehört.“ Herr Roland machte eine Pause. „Sie waren jetzt unter Zeitdruck. Was sollten Sie machen? Wenn man den Professor so in seinem Haus finden würde, käme natürlich sofort die Polizei und würde an Ort und Stelle mit ihren Nachforschungen anfangen. Die Spuren würden dann wohl sehr schnell zu Ihnen führen.“ Der Kriminalkommissar schlug ein Bein über das andere. „Würde man aber glauben, der Professor sei überraschend auf Reisen gegangen, würde man zuerst in ganz Deutschland nach ihm fahnden. Jedenfalls würden Sie vorerst Zeit gewinnen. Und diese blitzschnelle Überlegung hat Sie schließlich auf die Idee gebracht —“
Frau Erika Bandel hatte sich auf ihrem Stuhl längst ein Taschentuch hervorgeholt und hielt es sich jetzt vor den Mund.
„Auf welche Idee?“ fragte der Bademeister. Es war, als würde er aus einer Art von Betäubung erwachen.
„Auf die Idee, den Professor verschwinden zu lassen“, stellte Kriminalassistent Specht klar und trocken fest. „Vermutlich sind Sie zu Ihrem Haus gelaufen, um eine Plastikfolie oder etwas Ähnliches zu holen. Sie hatten ja die Handwerker grade erst im Haus gehabt, und irgend etwas würde sich schon finden. Dann haben Sie den Toten zusammen mit der zerbrochenen Brille und allem, was zu ihm gehörte, in Ihren Wagen gepackt. Und bei dem, was Sie dann gemacht haben, hat es Ihnen tatsächlich geholfen, daß Bad Rittershude an diesem frühen Morgen so gut wie leer war. Sie konnten ziemlich sicher sein, daß kein Mensch Sie sehen würde.“ Herr Pohmann hörte zuerst mit weit geöffneten Augen zu, und dann sackte er plötzlich über dem Schreibtisch zusammen. Er war fertig und am Ende. Die Maschine funktionierte nicht mehr und wollte nur noch eines, sich von allem ganz befreien.
Direkt vom Grab weg war er wieder auf die Autobahn und mit dem grauen VW-Golf bis München durchgefahren. An der Autobahnausfahrt hatte ihn sein Komplize erwartet. Als er ihm erzählte, was im Haus des Professors passiert war, hatte er ihm Vorwürfe gemacht, und sie waren in Streit geraten. Trotzdem hatte der sogenannte Herr Müller schließlich den kleinen Koffer mit den gestohlenen Papieren an sich genommen und Pohmann die zweiten fünftausend Mark bezahlt. Schließlich habe er ihn beruhigt. „Dein Alibi ist so perfekt, perfekter geht’s gar nicht“, habe er ihn getröstet. Schließlich sei er einfach mit dem Mietwagen davongefahren und habe ihn ganz bestimmt ein für allemal sitzenlassen wollen.
„In diesem Augenblick wußte er ja nicht, daß ich seine Visitenkarte habe“, schloß Herr Pohmann mit leiser Stimme seine Schilderung ab. Er fuhr sich über die Lippen. „Könnte ich wohl ein Glas Wasser haben?“
Kriminalkommissar Roland hatte Pohmann während seines Geständnisses durch die dichten Rauchwolken seiner kleinen Zigarre hindurch scharf beobachtet. Jetzt wandte er sich plötzlich ab, drehte sich herum und sagte zu einem der Funkstreifenbeamten: „Was zu trinken“. Dabei stand er auf.
Vor den Fenstern platzte der Regen immer noch auf das Pflaster. Weit entfernt bellte ein Hund.
„Ja, das wär’s dann vorerst, Herr Pohmann“, sagte der Kriminalkommissar. „Man wird Sie heute nacht noch in die Kreisstadt bringen. Vorläufig und bis die Untersuchung abgeschlossen ist.“
„Dürfte ich vielleicht vorher in mein Haus —?“
„Reviervorsteher Nielsen wird Sie begleiten“, meinte Polizeimeister Kalender. „Sie können sich dann noch mit dem Nötigsten versorgen.“
Frau Erika Bandel hatte inzwischen lautlos das Zimmer verlassen.
Draußen lehnte sie sich neben die Tür und weinte los.
„Aber, Frau Bandel“, meinte Chefredakteur Kubatz. Er war aufgestanden und legte den Arm um ihre Schultern.
„Wenn Sie eine Ahnung davon hätten, was ich gerade alles hören mußte“, schluchzte Frau Bandel.
„Sie werden es mir gleich in aller Ruhe erzählen“, sagte der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten, und versuchte möglichst viel Mitgefühl in seine Stimme zu legen. Kriminalkommissar Roland, der die letzten Worte gerade noch mitgehört hatte, als Reviervorsteher Nielsen vor ihm wieder einmal die Tür aufriß, konnte ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. „Sie haben doch nichts dagegen?“, fragte Herr Kubatz, der sich ein wenig ertappt
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