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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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neuem aufregend. Er rief nämlich nur die Namen auf und gab jedem sein Heft zurück, ohne ihm die Bewertung zu sagen. Manchmal machte er irgendeine Bemerkung. Aber welche Zensur er gegeben hatte, das erfuhren die Schüler erst, wenn sie ihre zurückerhaltenen Hefte aufschlugen.
    „Gratuliere“, sagte Herr Purzer, als er bei Karlchen Kubatz angekommen war.
    Der kleine Junge mit dem Bürstenhaarschnitt rieb sich verlegen mit dem rechten Fuß die linke Wade, als er sein Heft in Empfang nahm.
    „Mittelprächtig“, meinte der Studienrat zu Sputnik. „Aber Jahreszahlen muß man halt lernen, bis sie einem zu den Ohren raushängen.“
    Als er schließlich Emil Langhans das Heft zurückgab, bemerkte er knapp: „Ganz ausgezeichnet.“
    „Danke, Herr Studienrat“, erwiderte der Lange mit der dicken Hornbrille und lächelte ein wenig geschmeichelt.
    „Nur —“, Dr. Purzer, der schon weitergegangen war, blieb stehen und drehte sich noch einmal um. „Nur, die Arbeit zählt nicht.“ Er ging jetzt weiter und fügte noch ganz beiläufig hinzu: „Du nimmst mir das hoffentlich nicht übel.“ Er hatte inzwischen die Tafel erreicht und nahm die Kreide zur Hand.
    Emil Langhans hatte sich schnell in seine Bank gesetzt und das Heft aufgeschlagen. So ziemlich im gleichen Augenblick schoß ihm das Blut in den Kopf, und er kam sich vor wie ein Luftballon, der gegen eine brennende Zigarette geflogen war.
    „Das kann doch nicht wahr sein“, murmelte Emil Langhans entsetzt.
    In dem aufgeschlagenen Heft lag nämlich, als wäre nichts passiert, sein Spickzettel, den er sich für diese Klassenarbeit ausgeklügelt hatte...“ Das kann doch tatsächlich nicht wahr sein“, murmelte der Klassensprecher der 8 B jetzt bereits zum zweitenmal.
    Inzwischen hatte er nämlich gelesen, was Dr. Purzer mit roter Tinte unter seine fabelhafte Klassenarbeit geschrieben hatte: „Schlage vor, in Zukunft weniger vergeßlich zu sein.“
    Emil Langhans holte tief Luft und war auf alles gefaßt. Augenblicklich mußte das Gewitter über ihm zusammenschlagen. Er erwartete Spott, Gelächter und blanken Hohn.
    Langsam hob er seinen immer noch knallroten Kopf, und erst nach einer ganzen Weile blickte er vorsichtig zum Katheder.
    Aber der Studienrat beachtete ihn gar nicht. Er hatte inzwischen Karlchen Kubatz aufgerufen und schrieb für ihn bereits den Anfang einer fünfstelligen Gleichung an die Tafel.
    „Darf ich bitten“, meinte er, kletterte von dem Podium herunter, machte zuerst ein paar Schritte zu den geöffneten
    Fenstern hin und fing dann damit an, durch das Zimmer zu spazieren.
    Karlchen Kubatz hatte sich währenddessen an die Arbeit gemacht.
    Dabei quietschte die Kreide auf der Tafel wie ein schlechtgeöltes Fahrrad.

    Erst eine gute Viertelstunde war vergangen, seitdem Studienrat Dr. Purzer mit seinem dunkelblauen Sonntagsanzug durch die Tür gekommen war. Und schon unterschied sich die 8B kaum mehr von den übrigen Klassen.
    Genauso wie Herr Purzer schlenderten auch die Lehrer im ersten oder dritten Stock bei ihrem Unterricht zwischen den Bänken hin und her, Schüler streckten ihre Arme in die Luft, wenn sie etwas wußten, und wurden prompt übersehen. Wenn sie aber einmal keinen blassen Schimmer hatten, war es so klar wie Kloßbrühe, daß sie aufgerufen wurden. Weil sich alle Schulen der Welt im Grunde mehr oder weniger gleichen wie ein Ei dem anderen.
    Auch das Prinz-Ludwig-Gymnasium machte da keine Ausnahme.
    Genausowenig wie die Maximilianschule drüben in der Ahornstraße.
    Im Augenblick waren überall die Korridore leer, und hinter den Türen der Klassenzimmer quälten sich ein paar hundert Schüler mit lateinischen Fällen ab, mit gleichschenkligen Dreiecken, Nebensätzen und Partizipien, oder mit Napoleons Pech bei Waterloo. Lediglich die Sonne hatte alles ein wenig verändert. Wo sie durch die Fenster hereinkommen konnte, malte sie ihre Kringel auf Gesichter und Schulbänke. Man konnte in der großen Pause endlich wieder ohne Pulli oder Jacke in den Schulhof. Vögel zwitscherten, und plötzlich waren die großen Ferien gar nicht mehr so weit weg.
    Am späteren Vormittag fingen Arbeiter in Hemdsärmeln damit an, beim Rathaus die Fahnenmasten neu zu streichen.
    Von diesem Augenblick an wußte es ganz Bad Rittershude, daß der Frühling ausgebrochen war.
    Signor Rinaldo stellte zum erstenmal in diesem Jahr Tische und Stühle vor seiner Eisdiele auf die Straße.
    Im Kurpark wagten sich die Spaziergänger ohne Mantel ins Freie und freuten

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