Der Sohn des Kreuzfahrers
Lager, um über die Größe dessen nachzudenken, was sie gesehen hatten, während der Kaiser und seine Familie in den Palast zurückkehrten, wo sie den Rest des Tages feiern und beten würden.
Früh am nächsten Morgen begann die kaiserliche Flotte damit, die Armeen der Normandie und Flanderns über den Bosporus zu transportieren, wo sie sich den Streitkräften Hugos, Gottfrieds und Bohemunds anschließen sollten. Zehn Tage lang fuhren die mächtigen Schiffe über die enge Wasserstraße so stetig und kraftvoll wie die Flut. Ohne Unterbrechung wurde Ladung an Bord genommen, gelöscht und Kreuzfahrer mitsamt ihrem Kriegsgerät über den Bosporus verschifft; doch noch immer verweigerte der stolze Graf von Toulouse den Eid.
Nachdem das letzte Pferd und der letzte Mann über den Bosporus gebracht worden waren, gab der Kaiser den Befehl, die Flotte vom Ufer abzuziehen und in die Mitte der Wasserstraße zu verlegen, damit die erregten Franken nicht in Versuchung gerieten, die Schiffe mit Gewalt unter ihre Kontrolle zu bringen. Allerdings befahl er dem Flotten-Drungarios, die Schiffe in Sichtweite ankern zu lassen, um den sturen Raimund und seinen willfährigen Bischof stetig daran zu erinnern, wie wenig zwischen ihnen und ihrem Ziel - nämlich der Abreise - lag und wie rasch sie wieder auf dem Weg sein könnten.
Graf Stephan hatte seine Truppen mit den anderen vorausgeschickt und war zurückgeblieben, um dem Kaiser dabei zu helfen, den hochmütigen Raimund zu überreden: Er riet, lockte und appellierte ohne Unterlaß, und schließlich war ihm aufgrund seines gutmütigen Wesens Erfolg beschert, und es gelang ihm, den starrköpfigen Grafen von Toulouse zu erweichen. So kam es, daß drei Tage, nachdem das letzte Schiff den Bosporus überquert hatte, Raimund von Toulouse und Bischof Adhemar im Blachernenpalast erschienen und um eine Audienz beim Kaiser nachsuchten.
Gnädig ließ ihnen Alexios mitteilen, er würde sie so bald wie möglich empfangen; dann widmete er sich wieder gelassen den üblichen Tagesgeschäften: Er inspizierte die Palastwache und wanderte durch die kaiserlichen Ställe. Kurz blieb er beim Stallmeister stehen und beobachtete, wie dieser mit den Jährlingen verschiedene Gangarten trainierte. Anschließend nahm er an einer Messe teil, traf sich mit dem Magister Officiorum und den Quaestoren, um die kaiserlichen Pflichten für die folgende Woche zu besprechen, und aß schließlich zu Mittag. Nach dem Essen genoß er ein seltenes Nik-kerchen im Garten, und danach unterzeichnete er eine Reihe von Dokumenten die Beförderungen verdienter Offiziere betreffend und die daraus resultierenden Erhöhungen ihres Einkommens. Dazwischen hatte er dem Flotten-Drungarios den Befehl gegeben, die Truppenschiffe zum Eleutherios-Hafen zu verlegen, um den Kreuzfahrern den Eindruck zu vermitteln, die Flotte würde abrücken.
Nachdem Alexios all diese Pflichten erledigt hatte, rief er seinen Magister Officiorum zu sich, und da er nicht wußte, was er noch tun sollte, fragte er den Mann, ob er vielleicht irgend etwas vergessen habe. »Wenn Ihr gestattet, Basileus«, antwortete der Magister, »möchte ich darauf hinweisen, daß die lateinischen Fürsten noch immer darauf warten, vom Kaiser empfangen zu werden. Sie warten in eben diesem Augenblick im Vestibulum.«
»Ah, ja«, bemerkte Alexios gutgelaunt. »Haben sie lange gewartet?«
»Angemessen lange. Sie sind heute morgen eingetroffen.«
»Nun denn. Falls es nichts anderes mehr zu tun gibt, dann bitte sie herein. Wir werden sie jetzt empfangen.«
»Wie Ihr befehlt, Basileus.« Der Magister entfernte sich und bedeutete den Wachen, die Tür zu öffnen. Wenige Augenblicke später führte der Beamte zwei nervöse und unglückliche Edelleute und einen zornigen Bischof in den Saal.
Alexios begrüßte sie freundlich, als sie vor seinem Thron stehenblieben, und fragte sie, warum sie gekommen seien. Die beiden Fürsten blickten einander an; dann nickte Stephan, und Raimund antwortete: »Ich bin gekommen, um Euch die Treue zu schwören, mein Herr und Kaiser.«
»Das ist ja schön und gut«, erwiderte der Kaiser, »aber Wir fürchten, da kommst du zu spät.«
»Zu spät?« fragte Raimund und warf Stephan einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Verzeiht mir, mein Herr und Kaiser«, meldete sich Stephan zu Wort. »Aber ich habe geglaubt, man würde uns gestatten, die Pil-gerfahrt gemeinsam fortzusetzen, wenn es mir gelänge, Graf Raimund zur Unterzeichnung des Treueids zu
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