Der Sohn des Kreuzfahrers
kennenlernte, kam ich nicht umhin zu bemerken, daß er häufig fremdartige und verwirrende Prophezeiungen von sich gab.
Für gewöhnlich kamen diese Prophezeiungen wie folgt zustande:
Ein Kommentar oder ein Thema in der Zeitung erregte Pembertons Aufmerksamkeit, und er traf daraufhin eine präzise Vorhersage bezüglich des Ausgangs des beschriebenen Ereignisses - falls dieser denn in Frage stand -, oder aber er wies auf die Folgen hin, welche dieses Ereignis nach sich ziehen würde. Mit der Zeit lernte ich, seine Bemerkungen ernst zu nehmen; denn auch wenn seine Vorhersagen bisweilen unlogisch erschienen, so trafen sie doch - bis auf wenige Ausnahmen - allesamt zu. Allerdings will ich nicht den Eindruck erwecken, daß Pemberton etwas von einem Wahrsager an sich hatte, wie man ihn auf jedem x-beliebigen Jahrmarkt findet; mit solcherlei Hokuspokus hatte er nichts zu tun. Tatsächlich stammt der Begriff >Prophezeiungen< von mir; er selbst nannte sie stets >Vor-hersagen<, womit er andeuten wollte, daß es sich lediglich um begründete Vermutungen handelte.
Auch wenn diese Vorhersagen vielleicht keiner Eingebung entsprangen, so waren sie sicherlich das Produkt eines geradezu unglaublichen Wissens und einer großen, wenn auch nicht grenzenlosen Intelligenz. Hinter dem förmlichen, eleganten, aber zurückhaltenden Verhalten des alten Mannes verbarg sich ein bemerkenswerter Intellekt, verbunden mit beachtlicher Macht und Ausstrahlung. Je näher ich Pemberton kennenlernte, desto mehr respektierte und vertraute ich ihm. Obwohl die Einzelheiten seiner Vergangenheit und selbst seines alltäglichen Lebens mir bestenfalls schattenhaft bekannt waren - beispielsweise erfuhr ich nie, wo er aufgewachsen und zur Schule gegangen war, oder woher sein enormes Vermögen stammte -, war vollkommen klar, daß es sich bei ihm um einen Menschen von tadellosem Charakter handelte.
Was auch immer er tat, ich habe ihn stets als freundlichen und rücksichtsvollen Mann erlebt. Zwar verfolgte er durchaus seine eigenen Ziele, doch begegnete er anderen ausnahmslos respektvoll, geduldig, großzügig und fair. Auch wenn er bisweilen als scharfer Richter der Welt und ihrer Fehler auftrat, so kam doch nie ein grausames oder verächtliches Wort über seine Lippen. Seine Fähigkeit und Bereitschaft, andere zu verstehen und ihnen zu vergeben, war
nahezu unendlich - zumindest hatte ich stets diesen Eindruck.
Bitte verwechseln Sie diese Milde nicht mit Feigheit; damit hatte es ganz und gar nichts zu tun. Nichts in Pembertons Verhalten entsprang dem feigen Wunsch, Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen, geschweige denn der Angst vor Streit. Seine Überzeugungen standen häufig im Widerspruch zur öffentlichen Meinung, doch er hielt unbeirrt an seinen Anschauungen fest. Wenn ihn das in Konflikt mit der gesellschaftlichen Mehrheit brachte, dann war das eben so. Ich sah ihn niemals wanken. Während ich ihn immer besser kennenlernte, erkannte ich, daß Pemberton zur seltensten Art von Mensch gehörte: Er war ein guter Mann im besten Sinne des Wortes.
Das war auch der Grund, warum ich ohne zu zögern zustimmte, als er mich eines Abends fragte, ob ich nicht den Brüdern des Tempels beitreten wollte.
Wie so viele der Ereignisse, die mit Pemberton in Verbindung stehen, so fand auch dieses im Salon des Alten Hirschen statt. Der alte Gentleman hatte mich wieder einmal zu einem köstlichen Essen eingeladen, und wie gewöhnlich saßen wir hinterher bei einem Whisky und einer Zigarre beisammen, als er plötzlich sagte: »Gordon, mein Freund, ich habe Ihnen ein Angebot zu machen, das vielleicht die ein oder andere Überlegung wert wäre.«
»Ich würde mich freuen, es zu hören«, erwiderte ich gutgelaunt, und als ich sah, wie ernst er es meinte, fügte ich hinzu: »Bitte, fühlen Sie sich frei, mich zu fragen, was Sie wollen.«
»Ich kenne Sie nun schon viele Jahre, und ich glaube, auch Sie haben mich in dieser Zeit recht gut kennengelernt. Tatsächlich glaube ich sogar, daß sich eine gewisse Beziehung zwischen uns entwickelt hat.« Rasch versicherte ich ihm, wie wichtig unsere Freundschaft für mich sei, woraufhin er lächelte und sagte: »Dann bitte ich Sie um unserer Freundschaft willen: Bewahren Sie Stillschweigen über das, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Werden Sie das tun?«
»Selbstverständlich.« Neugierig beugte ich mich vor. Ich hatte Pemberton noch nie so geheimnisvoll erlebt.
»Wie Sie vielleicht schon gemutmaßt haben, habe ich viele
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