Der Sohn des Kreuzfahrers
Ich glaube, wir beide haben viel zu besprechen.«
Und wir beide sprachen in der Tat viel miteinander, das kann ich Ihnen versichern. Zunächst sprachen wir - wie nicht anders zu erwarten war - über den unerwartet frühen Tod des armen Angus; schließlich sagte Pemberton: »Ihr Nachruf auf Alisdair hat mich tief bewegt. Ich weiß, daß seine Eltern Ihnen für Ihre Freundschaft sehr dankbar sind.« Er hielt kurz inne; dann fügte er hinzu: »Ebenso wie ich.«
Anschließend wandten wir uns anderen Themen zu. Ich glaube, unser Gespräch deckte das gesamte Britische Empire und seine Probleme ab: Ägypten, den Sudan, Indien, Hongkong und ein gutes Dutzend andere Länder, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Pemberton schien sich für jeden dieser Orte zu interessieren und etwas darüber zu wissen, denn er sprach nicht wie ein beiläufiger Beobachter, sondern wie ein intimer Kenner dieser Länder, ihrer Politik, Kultur und Geschichte.
Vieles von dem, was er in jener Nacht sagte, fand ich unglaublich. Tatsächlich ging ich sogar in dem Glauben nach Hause, ich hätte mich mit einem Verrückten unterhalten - harmlos zwar, aber definitiv vollkommen verrückt.
In den folgenden Wochen und Monaten jedoch ertappte ich mich häufig dabei, wie ich mich seiner Worte, seiner Erläuterungen und Bemerkungen erinnerte, und nach und nach ergaben sie Sinn. Neugier überkam mich, und ich fragte mich, was er wohl sonst noch wußte.
Ich beschloß, Pemberton wiederzusehen. Da ich nicht wußte, wo ich ihn erreichen konnte, hinterließ ich eine Nachricht im Alten Hirsch, denn ich vermutete, daß er den Club weit häufiger besuchte als ich; bei einem seiner nächsten Besuche konnte der Portier ihm die Nachricht dann aushändigen. Tatsächlich erhielt ich innerhalb von vierzehn Tagen Antwort. Die Nachricht war auf teures, cremefarbenes Briefpapier geschrieben und lautete schlicht: »Freue mich darauf, Sie wiederzusehen. Wie wäre es mit Dinner am 16.? Mit freundlichen Grüßen, Pemberton.«
Da ich davon ausging, wir würden uns im Club treffen, erschien ich am entsprechenden Abend kurz vor acht und machte es mir in meinem üblichen Sessel bequem. Um halb neun, als ich bereits glaubte, die Nachricht mißverstanden zu haben, erschien Pemberton. Ohne nach rechts oder links zu schauen, marschierte er direkt auf mich zu, schüttelte mir die Hand, entschuldigte sich für die Verspätung und führte mich in den Speisesaal, wo er wie bei unserem letzten Treffen einen Tisch reserviert hatte.
Die Themen unseres Gesprächs an diesem Abend waren nicht weniger weit gestreut als bei unserer vorherigen Unterhaltung, doch diesmal hörte ich ihm aufmerksam zu und versuchte, mir alles zu merken, was er dabei über sich selbst preisgab. Am Ende des Abends hatte ich viel über die maritime Erforschung Polynesiens gelernt sowie über die Philosophie der Renaissance in Frankreich, doch so gut wie nichts über meinen Gastgeber. Als wir uns voneinander verabschiedeten, ergriff er meine Hand, blickte mir in die Augen und sagte: »Ich frage mich, ob Sie vielleicht Lust hätten, zwei meiner besten Freunde kennenzulernen.«
Auf dieses Angebot war ich nicht vorbereitet, und offensichtlich war mir meine Überraschung anzumerken, denn Pemberton fügte hinzu: »Wie ich sehe, ist es Ihnen unangenehm. Bitte, verzeihen Sie mir. Es war nur so ein Gedanke.«
»Nein, nein«, protestierte ich. »Es wäre mir eine Ehre, Ihre Freunde kennenzulernen, Mr. Pemberton. Also, ich.«
»Pembers, bitte. Ich glaube, wir kennen uns jetzt schon lange genug, nicht wahr, Gordon?«
»Natürlich«, bestätigte ich. Ich hatte das Gefühl, daß er Vertrauen zu mir gefaßt hatte - ein Privileg, das er offenbar nicht leichtfertig vergab; dessen war ich sicher.
»Hervorragend«, sagte er. Schließlich verabredeten wir einen Zeitpunkt für unser nächstes Treffen und wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht.
Auf dem Heimweg dachte ich in der Droschke darüber nach, was an diesem Abend geschehen war: sicherlich nichts Wichtiges. Ich war sogar ein wenig enttäuscht. Vermutlich hatte ich etwas Außergewöhnliches erwartet und mich statt dessen mit dem Gewöhnlichen zufriedengeben müssen. Auch das folgende Dinner mit Pembertons Freunden verlief wenig bemerkenswert. Bei den beiden handelte es sich um recht angenehme Gentlemen: Der eine war ein kleiner, gut gepolsterter Waliser mit Namen Evans, der andere ein schlanker, grauhaariger Kerl französischer Abstammung, der auf den Namen De Cardou
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