Der Sohn des Kreuzfahrers
anvertrauen und dann Frau Ni-amh. Zu dritt würden sie dann entscheiden, was in bezug auf die bevorstehende Geburt zu tun war. Das, so schätzte Ragna, würde der schwierigste Teil werden. Die Taufe war kein Problem: Wenn die Zeit reif war, würden sie das Kind in der Hofkapelle taufen lassen. Dort konnte es auch in die Taufrolle eingetragen werden; ins Kirchenbuch von Orkneyjar würde man es ohnehin erst mit zwei Jahren aufnehmen. Bis dahin wäre Murdo mit Sicherheit wieder zurückgekehrt; sie beide wären verheiratet, und alles wäre gut. Niemand außerhalb der Familie und der Dienerschaft würde etwas von dem Kind erfahren, bis die Heirat formell vollzogen und von der Kirche anerkannt sein würde.
Während der langen Sommertage beschäftigte sich Ragna ausschließlich mit leichter Hausarbeit und wartete auf eine passende
Gelegenheit, sich ihrer Mutter zu offenbaren. Diese Gelegenheit kam, als Frau Ragnhild eines Tages in den Kräutergarten hinausging, um Fenchel fürs Abendessen zu holen. Die untergehende Sonne warf lange Schatten über die ordentlichen Kräuterbeete, als Ragna sich ihrer Mutter näherte. Die Wärme des Tages und das honigfarbene Licht vermittelten Ragna ein Gefühl von Heiterkeit.
»Es war ein guter Sommer für die Pflanzen«, bemerkte ihre Mutter. »Der beste, an den ich mich erinnern kann.«
»Vielleicht deutet das auf einen milden Winter hin«, erwiderte Rag-na.
»Winter!« Frau Ragnhild beugte sich vor, um eine verkümmerte Pflanze aus dem leuchtend grünen Beet zu rupfen. »Ich bitte dich. Der Sommer ist schon kurz genug, auch ohne daß du ihn wegredest. Als nächstes müssen wir uns auf die Ernte vorbereiten - und das bald.«
»Bis dahin werden unsere Männer sicherlich wieder zurück sein«, erklärte Ragna und pflückte ein wohlriechendes Blatt von einem nahen Ast, hielt es sich unter die Nase und drehte es zwischen den Fingern.
»Unsere Männer«, echote die Mutter. »Du redest wohl von Mur-do. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du auf diese Art von deinem Vater und deinen Brüdern sprechen würdest.«
»Ich vermisse ihn, Mutter«, sagte Ragna mit leiser Stimme.
»O ja«, seufzte Ragnhild. »Und ich vermisse deinen Vater. Es ist ein hartes Los, allein zurückbleiben zu müssen.«
»Es ist schön, daß Niamh bei uns ist. Was mit ihrem Land geschehen ist, tut mir leid, aber sie ist uns eine große Hilfe. Ich mag sie.«
»Das ist gut«, bemerkte Ragnhild geistesabwesend und widmete sich wieder dem Beet.
»Es scheint mir nur recht und billig zu sein«, fuhr Ragna fort, »daß eine Braut die Mutter ihres Bräutigams ehrt wie die eigene - und das ist nicht immer so einfach wie in diesem Fall, glaube ich.«
Die Sichel in Ragnhilds Hand verharrte nur einen Augenblick lang regungslos in der Luft, dann: schnipp, ein weiterer verkümmerter Ast. »All dieses Gerede von Braut und Bräutigam«, sinnierte Ragnhild. »Soll das etwa heißen, ich muß in diesem Haus demnächst mit einer Hochzeit rechnen?« Sie richtete sich auf und blickte ihrer Tochter in die Augen. »Oder hat die Hochzeit vielleicht schon stattgefunden?«
»Um die Wahrheit zu sagen: Das hat sie. Bevor er ging, haben wir uns einander versprochen.«
Ragnhild nickte und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. »Wäre es jemand anderes gewesen, hätte dein Vater ihn durch jede Straße von hier bis Jorvik geprügelt.« Sie hielt kurz inne. »Vielleicht tut er das auch jetzt noch, wer weiß?«
»Vater würde sich niemals gegen diese Verbindung stellen«, beharrte Ragna. Ein Hauch von Vorsicht lag in ihrer Stimme. »Er hat nie etwas gegen Murdo gesagt. Er würde uns seine Zustimmung nie verweigern.«
»Nein«, bestätigte Frau Ragnhild in deutlich sanfterem Tonfall. »Wie könnte er auch? Herr Ranulf ist ein Edelmann und ein langjähriger Freund der Familie. Dein Vater respektiert ihn und schätzt seine Freundschaft. Aber wie auch immer: Was geschehen ist, ist geschehen, und wir müssen das Beste daraus machen.« Erneut trennte die Sichel einen verkümmerten Zweig ab. »Das größte Problem stellt Bischof Adalbert dar. Er kann sich weigern, das Eheversprechen anzuerkennen, weißt du? Dann würden Eure Kinder der Verdammnis anheimfallen.«
»Wir haben noch Zeit.« Ragna senkte den Kopf. Die Tränen standen ihr in den Augen. »Zumindest bis zum Christfest.«
Erneut unterbrach Ragnhild die Arbeit und musterte nachdenklich ihre Tochter. Dann stellte sie den Korb ab und öffnete die Arme. Ragna warf sich ihrer Mutter an die Brust,
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