Der Sohn des Kreuzfahrers
dieser Fische hatten weder die Mannschaft noch die Passagiere je gesehen; einmal fingen sie auch Krabben, die Murdo sehr genoß, denn sie erinnerten ihn an die Orkneys.
Kaum drei Wochen, nachdem sie das so friedliche Meer erreicht hatten, wechselte jedoch die Jahreszeit, und das gute Wetter hatte ein Ende. Von Tag zu Tag wurde es kälter, und der Wind frischte zusehends auf, woraufhin Jon Reißzahn beschloß, es sei an der Zeit, sich nach einem Liegeplatz für den Winter umzusehen. Von nun an suchten sie ständig die Küste nach einem geeigneten Hafen ab, und schließlich entschieden sie sich für eine kleine, ein Stück landeinwärts gelegene Stadt mit Namen Arles, eine befestigte Siedlung an der Südküste von Gallien im Königreich Burgund. Jon Reißzahn wählte die Stadt nicht zufällig aus. Größere Häfen wie Toulon oder Narbonne mied er mit der Begründung: »Zu viele Leute, zu viele Schiffe und zu viele Versuchungen für unvorsichtige Seefahrer.« Arles jedoch gefiel ihm, denn es war klein und ruhig; außerdem war das Leben hier weit billiger als an anderen Orten. Das kleine Arles lag ein Stück flußaufwärts, wenige Meilen vom Meer entfernt, doch es besaß eine ausreichend große Hafenbucht, die mehreren seetauglichen Schiffen Unterschlupf gewähren konnte, und tatsächlich hatten auch einige hier Schutz vor dem Winter und seinen Stürmen gesucht.
Die Mönche waren mit Jons Wahl zufrieden; sie waren froh, die kalten, verregneten Wintertage im Gebet und im Gespräch mit den örtlichen Klerikern in der Abtei von Sainte Trophime verbringen zu können. Diese großartigen Disputationen wurden durch die freizügige Anwendung des örtlichen Rotweins auf eine noch höhere Stufe gehoben, dem sowohl die ortsansässigen als auch die zugereisten Mönche mit Eifer zusprachen. Der Rest der Mannschaft verbrachte seine Zeit zwischen diversen Trinkhallen und Bordellen im Hafenviertel.
Auf Murdo lastete die aufgezwungene Ruhepause jedoch schwer; er entdeckte nur wenig in der Stadt, was ihn interessierte. Da er weder die Lust verspürte, die örtlichen Huren zu bereichern, noch, seinen Durst bei den ansässigen Brauern zu stillen, und da ihn auch eine gelehrte Debatte mit gallischen Mönchen nicht zu reizen vermochte, beschäftigte er sich statt dessen damit, über die Hügel hinter der Stadt und am Fluß entlangzuwandern. Dank des Winterregens schimmerten die Hügel in saftigem Grün, und Murdo mochte den Duft der niedrigen Sträucher, doch da die Hügel ansonsten nichts Bemerkenswertes zu bieten hatten, machte er sich schon bald daran, die alte Stadt zu erkunden.
Die Straßen von Arles waren eng, und die Häuser standen dicht beieinander. Sämtliche Fenster waren zum Schutz vor den kalten, feuchten Winden aus Nord und West geschlossen. Auch Murdo schlenderte nur durch die gewundenen Straßen, wenn die Sonne schien. Tatsächlich gab es einige ungewöhnliche Gebäude zu bestaunen. Manche waren noch von den Römern errichtet worden, wie ihm Bruder Fionn erklärte; den Rest hatten die Mauren erbaut. Die maurischen Gebäude wirkten besonders seltsam auf Murdo. Aufgrund ihrer weißen Wände, den hohen, schlanken Säulen, der zwiebelförmigen Torbögen, bauchigen Türme und schmalen Glasfenster erschienen sie Murdo wie Paläste aus einem Traum.
Der beeindruckendste dieser >Paläste< war ein imposantes weißes Gebäude am Rand des Marktplatzes. Der Markt selbst war ein gottverlassener Ort, denn da es im Winter auch hier wie überall an Waren mangelte, verirrten sich nur wenige Menschen und Händler hierher. Tatsächlich tauchten nur dann und wann vereinzelt Kaufleute auf, die überdies nur Eier und Käse verkauften, so daß Murdo den Platz zumeist für sich allein hatte.
Auf einem seiner Streifzüge entdeckte er, daß es in der friedlichen kleinen Stadt auch einen Waffenschmied gab. Zwei andere Schmiede hatten sich ebenfalls in der Stadt niedergelassen, das wußte Murdo, doch sie stellten ausschließlich Geräte für die Bauern und den Hafen her. Der dritte Schmied jedoch arbeitete am anderen Ende der Stadt, weit weg vom Hafen und vom Markt. Murdo stolperte eines Tages über die Schmiede, als er die Stadtmauer umwandern wollte. Angezogen von mächtigen Rauchwolken und schweren Hammerschlägen hatte er eine niedrige, dunkle Behausung entdeckt, die in die alte Römermauer hineingebaut worden war. Einst war die Schmiede offenbar ein Torhaus gewesen, aber das Tor hatte man schon längst zugemauert. Das Haus - wenig mehr als eine
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