Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
Vom Netzwerk:
daraus Fußlappen.
    »Kann mein Vater nicht hierherkommen?« fragte Murdo. Der Gesichtsausdruck des Priesters verriet ihm, daß er das nicht konnte. »Ist er verwundet?«
    »Ich fürchte, das ist er«, bestätigte Emlyn.
    »Wie schlimm?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wie schlimm, Emlyn?«
    »Ich weiß es wirklich nicht. Fionn hat es mir nicht gesagt. Er hat nur gesagt, wir sollten uns beeilen. Ronan ist bei ihm.«
    Während Emlyn Murdos Füße umwickelte, erschien Fionn mit einem Esel. »Wir müssen uns beeilen, Murdo«, sagte Fionn. »Dein Vater - wenn es denn dein Vater ist - ist sehr krank. Bist du bereit? Leg deinen Arm um meine Schulter.«
    Gemeinsam hoben ihn die beiden Priester sanft in die Höhe. Doch obwohl sein Gewicht auf den Schultern der Mönche ruhte, begleiteten schier unerträgliche Schmerzen die Bewegung. Murdo stöhnte und biß sich aufdie Lippe, um nicht laut aufzuschreien. Schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen, und der Schweiß brach ihm aus. Die Mönche trugen ihn die zwei Schritte zu dem Esel und hoben ihn auf dessen Rücken.
    Fionn führte sie durch das Hospital den Hügel hinauf. Erneut war Murdo entsetzt von dem, was er sah: Überall lagen Männer auf dem Boden, und das Blut aus ihren Wunden färbte die Erde schwarz. Die Kämpfe waren nur kurz gewesen, doch heftig: Viele Soldaten hatten Hände und Arme verloren, und andere hatte tiefe Stich- und Schnittwunden davongetragen; die meisten jedoch waren von Pfeilen förmlich durchsiebt worden. Wie alle Araber, so tränkten auch die Ägypter ihre Pfeile mit Gift, so daß ihre Opfer unendliche Qualen erlitten, bevor sie starben.
    Von all den Verwundeten, die Murdo sah, hatten nur einige wenige das Glück, auf einer Grasmatte oder Decke liegen zu können, und noch weit weniger lagen in Zelten. Als Folge davon versuchten viele, der Hitze zu entfliehen, indem sie sich aus ihren Schilden einen Sonnenschutz bauten oder ihre Umhänge über niedrig
    hängende Äste warfen, um sich so zumindest ein wenig Schatten zu verschaffen.
    Einige der Verwundeten folgten Murdo mit schmerzerfüllten Augen, doch zumeist waren die Pilger viel zu sehr mit ihrem eigenen Todeskampf beschäftigt, als daß sie sich um irgend etwas anderes hätten kümmern können. Niemand sprach ein Wort, und abgesehen von dem ständigen Stöhnen und Keuchen war es im Krankenlager geradezu unnatürlich still.
    Fionn führte sie zu einem kleinen Zelt nahe dem Gipfel des Hügels. Bei ihrer Ankunft trat Bruder Ronan aus dem Zelt. Sein Gesicht war ernst. »Gut«, sagte er. »Ich habe ihm gesagt, daß du kommst. Er will mit dir sprechen, Murdo. Bist du bereit?«
    Murdo nickte, und die Mönche halfen ihm vom Esel herunter; dann humpelte er auf Emlyn gestützt ins Zelt. Der süßliche Geruch einer eiternden Wunde erfüllte die abgestandene Luft. Murdo würgte, während die guten Brüder ihn neben eine Pritsche setzten, die von einer groben Grasmatte bedeckt war. Auf diesem Bett lag ein Mann, den Murdo nicht kannte.
    »Wir bleiben in der Nähe«, sagte Ronan, als die Mönche das Zelt verließen. »Du brauchst uns nur zu rufen, falls irgend etwas sein sollte.«
    Murdo wollte ihnen erklären, sie hätten ihn zum falschen Mann gebracht, als der Körper neben ihm fragte: »Bist du das, Murdo?«
    Murdo schaute sich den Mann noch einmal genauer an, und mit großem Entsetzen erkannte er in der ausgemergelten, elenden Gestalt auf der Pritsche seinen Vater. »Mein Herr?«
    »Wie habe ich darum gebetet, daß einer meiner Söhne kommen möge«, sagte Ranulf. Seine Stimme klang rauh und gedämpft; tatsächlich war es wenig mehr als ein heiseres Krächzen. »Ich habe nicht gewußt, daß du es sein würdest, Murdo. Wie bist du hierhergekommen?«
    »Ich habe nach dir gesucht«, antwortete Murdo. Sein Blick wan-derte zu dem Stumpf an der rechten Seite seines Vaters. In blutige Lumpen gewickelt, reichte der Arm nur noch bis zum Ellbogen. Der
    Gestank der Wunde verriet Murdo, daß sie vereitert war. Verzweiflung übermannte ihn, und er hatte das Gefühl, als würde er in ein unendlich tiefes Loch fallen. »Ist es schlimm?«
    »Schlimm genug.« Der Vater schloß die Augen und öffnete sie sofort wieder, plötzlich erregt. »Du mußt es hören!« sagte Ranulf und erhob sich von seiner Pritsche. Er packte seinen Sohn an der Schulter. Murdo zuckte ob des Schmerzes in seiner verbrannten Haut unwillkürlich zusammen. »Du mußt es hören und anderen erzählen, wie es wirklich war. Bring die Kunde zurück zu den Inseln!

Weitere Kostenlose Bücher