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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Sag ihnen, was geschehen ist!«
    »Ich höre zu«, sagte Murdo und versuchte, seinen Vater wieder ein wenig zu beruhigen. »Sei ganz ruhig. Ich bin ja hier.«
    Er versuchte, die Hand seines Vaters von der Schulter zu lösen, doch Ranulf ließ nicht locker, sondern drückte sogar noch fester zu. »Versprich es mir, Junge. Versprich mir, daß du es ihnen erzählen wirst.«
    »Ich werde es ihnen erzählen«, erwiderte Murdo. Er drehte den Kopf, um nach den Priestern zu rufen, doch sein Vater ließ ihn bereits wieder los und fiel zurück auf die Pritsche. Sein Atem war flach und abgehackt. Er wirkte zu Tode erschöpft.
    »Gut«, keuchte Ranulf. »Gut.« Mit dem Finger deutete er auf einen Wasserschlauch auf dem Boden neben der Pritsche.
    Murdo griff danach, gab ihn seinem Vater und sah zu, wie dieser trank. Das Gesicht seines Vaters war von tiefen Furchen durchzogen, die Augen eingefallen und die Haut bleich und gelblich wie altes Leinen. Die hohe Stirn war wächsern und feucht; die Augen funkelten fiebrig. An dem einst so starken Kinn sprossen graue Haare, und die Lippen waren gesprungen und das Gesicht schmerzverzerrt.
    Doch während Herr Ranulf trank, verschwanden viele der Falten; der Schmerz verlor seine Kraft und die fiebrigen Augen ihr Funkeln. Murdo vermutete, daß man irgendeine Art Droge unter das Wasser gemischt hatte. Nachdem er den Schlauch abgesetzt hatte, betrachtete Ranulf seinen Sohn eine Weile, und der Hauch eines Lä-
    chelns huschte über sein Gesicht. Er schien sich ein wenig besser zu fühlen. »Ich hätte niemals gedacht, dich wiederzusehen, Mur-do; aber hier bist du nun.«
    »Ja, mein Herr.«
    »Ich freue mich darüber«, sagte Ranulf Ein Krampf durchfuhr ihn, und er kämpfte dagegen an. Einen Augenblick später war der Schmerz verflogen, und Ranulf fuhr fort: »Hör mir jetzt gut zu. Du mußt ihnen ... alles sagen.« Sein Tonfall wurde drängend. »Alles. Hörst du?«
    »Ich höre«, antwortete Murdo und schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. »Und ich werde es ihnen sagen. Hab keine Angst.«
    Sein Vater legte den Kopf zurück und schien seine Kräfte zu sammeln. Murdo wartete. Er beugte sich vor, um kein Wort zu versäumen, das über die Lippen seines Vaters kam, denn er fürchtete, es könnten seine letzten sein.
    Einen Augenblick später begann Herr Ranulf zu sprechen.

    ^^n Antiochia war es schlimm«, sagte Ranulf, »aber in Dorylai-on war es schlimmer. Bei Gott, es war viel schlimmer.«
    Murdo hatte noch nie von diesem Ort gehört, doch er versuchte, sich den Namen zu merken, indem er ihn mehrmals im Geiste wiederholte: Dorylaion.
    »Herzog Roberts Armee war als letzte in Konstantinopel eingetroffen«, fuhr Ranulf fort, »und sie überquerte auch als letzte den Bosporus. Wir wurden so schnell auf die Schiffe verladen, daß wir kaum einen Blick auf die Goldene Stadt werfen konnten, und dann befanden wir uns auch schon wieder auf dem Marsch.
    Nikaia lag bereits unter Belagerung, als wir dort ankamen, und einen Tag später fiel die Stadt, ohne daß wir etwas dazu beigetragen hätten. Nachdem er gesehen hatte, wie sein Herr, der Sultan Kilidsch Arslan, mit seinen Männern vor den Kreuzfahrern geflohen war, hatte der ungläubige Statthalter beschlossen aufzugeben. Wir sicherten die Stadt und gaben sie dem Kaiser zurück, wie wir geschworen hatten, denn alle wollten wir weiter nach Jerusalem.
    Sie sagten uns, wir würden Jerusalem noch vor dem Sommer erreichen. Sechs Wochen, sagten sie. Heiliger Herr Jesus Christus, es hat ein Jahr gedauert!«
    Der plötzliche Ausbruch hatte einen derart heftigen Hustenanfall zur Folge, daß Murdo seinen Vater bat, mit der Erzählung aufzuhören. »Hier, ruh dich ein wenig aus«, sagte er. »Du kannst mir später mehr erzählen.«
    Ranulf weigerte sich. »Das geht vorbei«, erklärte er. »Das geht vorbei.« Er schluckte noch ein wenig von seinem Elixier und fuhr fort: »Das war also das. Wir verlassen also Nikaia und marschieren weiter. Was finden wir? Die Seldschuken haben alles zerstört: Dörfer, Städte, Bauernhöfe - alles verlassen. Ganze Wälder haben sie niedergebrannt und jede Wasserquelle vergiftet, egal ob Brunnen oder Oase. Wir haben keinen Fluß gesehen, der etwas anderes geführt hätte als Steine. Wahrlich, das ist ein gottverlassenes Land!
    Es dauert nicht lange - nur ein paar Tage -, und unsere Wasservorräte sind dahin, denn wir können nirgends Frischwasser finden. Also wird beschlossen, das Heer in zwei Abteilungen aufzuteilen, die jede

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