Der Sohn des Kreuzfahrers
wartete, bis er näher gekommen war. »Du mußt ein Stück Brot nehmen und es ins Salz tunken«, erklärte sie. »So ist es Sitte am Hof des Königs.«
Murdo riß ein Stück aus dem Laib und drückte es ins Salz. Einen Augenblick lang hielt er es in der Hand, unsicher, was als nächstes von ihm erwartet wurde. »Und dann?« fragte er.
»Du mußt es essen«, antwortete Ragna. Das Lachen in ihrer Stimme schmeichelte ihm eher, als daß es ihn beschämte, und so lachte auch er.
»Warum muß ich es essen?« fragte er, um das angenehme Gespräch in die Länge zu ziehen.
»Es ist ein Zeichen der Gastfreundschaft, mit der ehrenwerte Gäste in diesem Haus empfangen werden«, erklärte Ragna. »Mein Vater hat das an König Olafs Hof gelernt.«
Murdo steckte das Brot in den Mund, und Ragna bedeutete ihm, daß er in die Kammer der Herrin gehen sollte. Als er an ihr vorbei über die Schwelle trat, atmete er ihren Duft ein: Sie roch süßlich wie Heidekraut oder eine Art Gewürz. Ragna folgte ihm in die Kammer, die in einen Speisesaal verwandelt worden war. Ein Tisch war vor dem Kamin aufgestellt worden, in dem inzwischen ein Feuer prasselte, was dem Raum eine warme, einladende Note verlieh.
Ragna stellte das Tablett auf den Tisch und drehte sich zum Kamin um, wo ein Krug und Becher standen. Sie nahm einen der Becher und brachte ihn Murdo. »Trink etwas, während du wartest«, sagte sie.
Murdo roch an der warmen Flüssigkeit und bemerkte den gleichen würzigen Duft wie an Ragna; allerdings wußte er noch immer nicht, worum es sich dabei handelte. Er hob den Becher an die Lippen und nippte vorsichtig an dem Getränk. Es handelte sich um gewürzten Wein, und obwohl Murdo erst zweimal in seinem Leben Wein getrunken hatte, verkündete er, daß er gut sei. Sein Lob zauberte ein Lächeln auf Ragnas Gesicht. »Hast du ihn gewürzt?« fragte er.
»Das habe ich«, antwortete sie. »Woher weißt du das?«
In diesem Augenblick betrat Frau Ragnhild den Raum, und Mur-do drehte sich um, um sie zu begrüßen. Sie gesellte sich zu den beiden jungen Leuten am Kamin und nahm einen Becher Wein aus der Hand ihrer Tochter entgegen. »Wie ich sehe, hat dich Ragna angemessen willkommen geheißen«, sagte sie. »Da man in der Halle das Osterfest vorbereitet, hielt ich es für besser, wenn wir uns hier zum Essen treffen.«
»Das ist ein sehr schöner Raum«, bestätigte ihr Murdo. Dann erinnerte er sich seiner Manieren und hob den Becher. »Auf Eure Gesundheit, edle Frau.«
Sie tranken gemeinsam, und Murdo, der vorläufige Herr, war sehr mit sich zufrieden. Als Frau Niamh sich einige Augenblicke später zu ihnen gesellte, wünschte er auch ihr Gesundheit, und der Abend begann. Tailtiu und eines der Küchenmädchen servierten mehrere Speisen, beginnend mit geschmorten Fisch und gefolgt von geröstetem Fasan und Kohlrüben. Zu trinken gab es Bier und als Beilage flaches, weiches Brot.
Über dem Fleisch wurde die Unterhaltung immer ungezwungener, und in Murdo keimte die Hoffnung auf, daß er nicht die ganze Zeit ihres Aufenthalts über in den Ketten höfischer Sitten gefangen sein würde. Als das Gespräch sich den abwesenden Herren zuwandte, sagte seine Mutter: »Ich bin begierig darauf zu erfahren, wie es euch ergangen ist, seit die Männer fortgezogen sind. Für zwei Frauen allein ist es bestimmt nicht leicht.«
»Nein«, gestand Ragnhild, »aber ich gewöhne mich allmählich an die zusätzliche Belastung. Natürlich nehmen mir die Pächter die schweren Arbeiten ab, und wir haben viele treue Diener. Es ist nicht leicht, nein, aber wir kommen zurecht.«
»Bei uns ist es genau das gleiche«, sagte Niamh und fuhr fort zu berichten, wie sie sich in der Erntezeit beinahe zu Tode geschuftet hatten. Murdo lauschte glücklich dem Bericht seiner Mutter und sonnte sich in ihrem Lob ob seiner harten Arbeit und seiner Erfolge.
Anschließend wandte sich das Gespräch anderen Themen zu, und der Abend nahm einen angenehmen Verlauf. Als sie sich schließlich von der Tafel erhoben, waren die Kerzen heruntergebrannt, und das Feuer bestand nur noch aus einem Haufen glühender Asche. Ragna nahm eine Kerze aus einem der Leuchter, führte die Gäste die Wendeltreppe hinauf zu ihren Zimmern, wünschte ihnen eine gute Nacht und verschwand in ihrem eigenen Raum. Erst dann fiel Murdo auf, daß er Ragna nichts von alledem gesagt hatte, was er ihr hatte sagen wollen.
Er wünschte seiner Mutter eine gesegnete Nachtruhe und ging in sein Zimmer. Jemand hatte die Kerzen
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