Der Sohn des Kreuzfahrers
nehmen, um ihr rechtmäßiges Hab und Gut wiederzuerlangen. Man sagte, König Magnus und sein Sohn Prinz Sigurd seien gottesfürchtige Männer, tief im Glauben verwurzelt und großzügige Förderer der Kirche. Tatsächlich hatte der Bischof sie bei zwei ihrer Besuche nicht empfangen können, weil er mit dem jungen Prinzen in Klausur gegangen war, denn dieser bestand darauf, den Katechismus mit dem Oberhirten von Orkneyjar persönlich zu studieren.
»Wir werden erst wieder gehen«, schwor Niamh zum viertenmal, seit sie losmarschiert waren, »wenn wir mit Bischof Adalbert höchstpersönlich gesprochen haben und er sich unser Anliegen angehört hat.«
Murdo antwortete nicht darauf. Er hielt den Eid für ein leeres und sinnloses Versprechen. Fünfmal waren sie schon hierhergekommen, und fünfmal waren sie gescheitert. Er wußte nicht, warum dieser Besuch anders verlaufen sollte. Seiner Meinung nach ließ sich der Bischof verleugnen. Das überraschte ihn weder, noch ärgerte es ihn sonderlich. Seit langem schon glaubte er, daß die Kirche und deren Führer der Verdammnis anheimgefallen waren. Sie bestand nur aus gierigen und kriecherischen Klerikern, die den Glauben der Menschen ausnutzten, um sie auszuplündern. Seine Mutter - das wußte er - war jedoch weder sonderlich fromm noch leichtgläubig, und deshalb weigerten sich die Kirchenmänner, sie zu empfangen. Was Murdo nicht verstand, war die Tatsache, daß Frau Niamh mit solcher Vehemenz darauf beharrte, den Bischof in den Streit mit einzubeziehen.
Der Pfad stieg noch ein letztes Mal steil an, bevor er einen anderen Weg kreuzte, der zum Kloster und zur Kathedrale führte. Die großen Tore waren geschlossen, doch die kleinere Seitentür stand offen. Murdo und seine Mutter betraten das dämmrige Vestibül und blieben kurz stehen, bis sich ihre Augen an das trübe Licht gewöhnt hatten. Die großen Säulen reichten bis in die Dunkelheit unter der Decke hinauf; ihre breiten Basen wurden von flackernden Kerzen erhellt. Ein paar Mönche sangen in der Nähe des Altars, und ihre Stimmen hallten von der hohen, gewölbten Decke wider, was den Eindruck erweckte, als jammerten Engel hoch über den Köpfen der Gläubigen.
Bei ihren vorherigen Besuchen war Frau Niamh bei dem ersten Mönch vorstellig geworden, der ihnen über den Weg gelaufen war, und hatte ihn um eine Audienz beim Bischof gebeten. Jedesmal hatte man die Bitte den Regeln gemäß weitergeleitet, und die Bittsteller waren in den Kreuzgang vor dem Kapitelhaus geführt worden, wo der Bischof sich die weltlichen und geistigen Anliegen seiner Schäf-lein anzuhören pflegte. Dann hatte man sie angewiesen, dort zu warten, bis der Bischof bereit sei, sie zu empfangen.
Fünfmal hatten sie im Kreuzgang gesessen und gewartet, und fünfmal waren sie gegangen, ohne den schwer zu fassenden Kirchenmann auch nur von weitem gesehen zu haben. Die ersten drei Male war nach längerem Warten ein Mönch erschienen und hatte sie informiert, die anderen Besprechungen des Bischofs hätten unerwartet lange gedauert, und nun sei er nicht mehr in der Lage, sie noch zu empfangen, was man doch bitte entschuldigen möge. Dann hatte man sie in aller Freundlichkeit eingeladen, nächste Woche wiederzukommen; der Bischof hätte dann sicherlich Zeit für sie. Beim viertenmal hatte man sie nach erneutem langen Warten davon in Kenntnis gesetzt, daß Bischof Adalbert plötzlich in einer dringenden Angelegenheit weggerufen worden sei und daß er für mehrere Tage nicht zurückkehren würde. Dann, vergangene Woche, nachdem sie fast einen ganzen Tag lang gewartet hatten, waren sie gezwungen gewesen zu gehen, als die Glocken zur Vesper geläutet hatten und die Tore der Kathedrale für Besucher geschlossen worden waren. Diesmal hatte ihnen niemand eine Begründung dafür geliefert, warum der Bischof sie erneut nicht hatte empfangen können.
Nach jeder dieser Enttäuschungen bemerkte Murdo, wie seine Mutter ein wenig mehr von ihrer Kraft verlor. Es schmerzte ihn zu sehen, wie ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet, und er beschloß, nicht zuzulassen, daß man sie auch noch ihrer Würde beraubte. Das Warten, schloß er, diente dazu, sie zu zermürben, bis sie schließlich weich genug sein würden, um alles zu akzeptieren, was der Bischof geruhen würde, ihnen aufzutischen.
Nun, hier waren sie, zum sechstenmal, und Murdo beschloß, daß es das letzte Mal sein würde.
Wie zuvor, so wurden sie auch diesmal von einem Mönch empfangen, der sie zum Kreuzgang
Weitere Kostenlose Bücher