Der Sohn des Kreuzfahrers
Carrach bei Ragnhild«, fiel Murdo ihr erneut ins Wort. »Ich werde nicht einen Tag länger warten - nicht solange unser Heim in den Händen von Dieben und habgierigen Priestern ist.«
Schweigend sah Niamh ihren Sohn einen Augenblick lang an. »Was hast du vor, Murdo?«
»Wenn wir vor Herrn Ranulfs Rückkehr nicht zurückfordern können, was unser ist, dann werde ich gehen und ihn zurückholen.«
»Nein«, widersprach ihm Niamh nachdrücklich. »Denk doch mal darüber nach, was du da sagst, mein Sohn. Du kannst nicht ins Heilige Land gehen.«
»Warum nicht? Alle anderen gehen doch auch - selbst Orin Breitfuß. Vielleicht schließe ich mich ja ihm an!«
In Wahrheit waren seine Gedanken eher verwirrt gewesen, doch nachdem er die Worte erst einmal ausgesprochen hatte, war ihm alles klargeworden. Es war so einfach. Murdo wußte genau, was er zu tun hatte.
Niamh sah die Entschlossenheit in den grauen Augen ihres Sohnes und erkannte darin die gleiche Sturheit wie bei ihrem Gemahl. »Nein, Murdo«, wiederholte sie. Dann drehte sie sich um und machte sich auf den Weg zum Hafen hinunter, wo Peder mit dem Boot wartete. »Ich will nichts mehr davon hören.«
Sie ging ungefähr ein Dutzend Schritte weit, doch als Murdo keinerlei Anstalten machte, ihr zu folgen, blieb sie stehen und drehte sich um. »Hör auf, dich wie ein kleines Kind zu benehmen.«
»Lebe wohl, Mutter.«
»Murdo, hör mir zu.« Sie ging wieder zu ihm zurück, und Murdo wußte, daß er gewonnen hatte. »Du kannst nicht gehen - jedenfalls nicht so. Das ist unmöglich.«
»Ich gehe aber.«
»Du brauchst Proviant und Geld. Du kannst nicht einfach so hinausziehen wie auf einen Jahrmarkt. Du mußt dich auf die Reise vor-bereiten.«
Murdo erwiderte nichts darauf, sondern sah seine Mutter nur ausdruckslos an.
»Bitte«, fuhr Niamh fort, »komm zumindest mit mir zurück nach Cnoc Carrach, und wir werden dich angemessen für die Reise ausstatten.«
»Also gut«, stimmte ihr Murdo schließlich zu. »Aber wenn Orin Breitfuß nach Jerusalem absegelt, werde auch ich an Bord sein.«
ie Nacht lag schwer auf dem Haus und auf Murdos Seele. Er starrte in die Dunkelheit hinaus, denn seine endlos umherwirbelnden Gedanken ließen ihn keinen Schlaf finden. Er dachte über die bevorstehende Reise nach und über die Prüfungen, die ihn erwarteten, und wie er seinen Vater finden sollte. Niamh hatte ein ausführliches Schreiben an Ranulf verfaßt, in dem sie ihn inständig bat zurückzukehren; doch Murdo vermutete, daß der Feldzug ohnehin schon beendet sein würde, wenn er Jerusalem erreichte, und selbst falls nicht, so war er fest davon überzeugt, daß sein Vater und seine Brüder ihn ohne Zögern zurückbegleiten würden, um das Unrecht aus der Welt zu schaffen, daß ihnen in ihrer Abwesenheit widerfahren war.
Er dachte auch über die Hinterhältigkeit von Bischof Adalbert nach und über Abt Gerardus; er verfluchte sie aus tiefstem Herzen. Er dachte darüber nach, wie er einen Platz auf König Magnus' Schiff bekommen könnte, und am meisten dachte er an Ragna. Morgen würde er Cnoc Carrach verlassen, und er wußte nicht, wann er wieder zurückkehren würde. Nachdem er nun so viele Wochen in ihrer Nähe verbracht hatte, erschien ihm die bevorstehende Trennung unerträglich. Sie nicht mehr bei der Arbeit zu sehen und nicht mehr ihre Stimme beim Frühstück hören zu dürfen - daß er nicht bei ihr verweilen durfte, sah er als die größte Prüfung von allen an.
Wie als Antwort auf seine Gedanken hörte er das Knarren von Dielenbrettern vor seiner Tür, und nur einen Augenblick später hob sich der Riegel. Murdo setzte sich im Bett auf. Die Kerze war schon fast heruntergebrannt, dennoch griff er danach und stand auf. Da er ohnehin nicht schlafen konnte, hatte er sich auch nicht ausgezogen. Die Tür schwang auf, Ragna trat ins Zimmer und zog die Tür leise wieder zu.
»Ragna, was.«, begann er.
Sie legte ihm den Finger auf die Lippen. »Schschsch! Nicht so laut. Jemand könnte uns hören.«
»Was tust du hier?«
»Willst du, daß ich wieder gehe?«
»Nein. Nein.« Er blickte in ihre großen Augen, betrachtete ihr offenes Haar und das sanfte Schwellen ihres Busens unter dem Nachtgewand, und Verlangen keimte in ihm auf. »Bleib«, sagte er. »Ich kann ohnehin nicht schlafen.«
»Ebensowenig wie ich«, erwiderte sie. »Das ist unsere letzte Nacht, denn ab morgen bist du fort.«
»Ich werde wieder zurückkommen«, bemerkte er hoffnungsvoll.
»Ich weiß.«
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