Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
im Schlaf erschlagen. Dein Vetter hat ihm frische Pferde verkauft«, erklärte Aryak schlicht.
»Und das gibt euch das Recht, ihn zu töten?«, rief der Heredhan aufgebracht.
»Wäre er zu uns so freundlich gewesen wie zu diesem Fremden, so könnte er noch leben, Yaman«, lautete Aryaks einfache Antwort.
Der Heredhan nickte grimmig, dann erwiderte er: »Ich verstehe, es mangelte Tolgon also nur an Höflichkeit? Und deshalb habt ihr ihn erschlagen, Yaman Aryak, der du mir meinen Titel so unhöflich verweigerst? Er trieb also Handel mit dem Feind? Wusste er denn, dass dieser Mann ein Feind war? Und war er nur dein Feind oder der aller Hakul? Und wenn er gleich fünf der euren im Schlaf überraschte, dann kann ich nur sagen, dass sie besser Wachen gestellt hätten, Yaman Aryak, dann wäre dir und mir viel Ungemach erspart geblieben.«
Aryak zögerte, bevor er erwiderte: »Sie waren nachlässig, das gebe ich zu, doch fühlten sie sich auch sicher, denn sie weideten ihre Tiere im Grastal.«
Horket sah Aryak stirnrunzelnd an. Offenbar verstand er nicht, was Aryak andeutete. Dafür meldete sich plötzlich der Hohläugige zu Wort: »Im Grastal, sagst du?« Er beugte seinen großen Kopf dabei weit vor. Seine Stimme war überraschend tief. Und als Aryak stumm nickte, fuhr er fort: »Dort, edler Heredhan, liegt Etys begraben, unser Erster Fürst.«
»So ist es«, ergänzte Yaman Aryak, »und der Feind, dem dein Vetter so gerne seine Pferde verkauft hat - dieser Feind hat das Grab unseres Fürsten aufgebrochen und geschändet! Ausgeraubt und entehrt hat er es!«
Horket schwieg betroffen. Eine Windböe fuhr zwischen sie hinein, und ihre Pferde wurden unruhig. »Davon wussten wir nichts!«, rief der Hohläugige und lenkte seinen Braunen näher an Aryak heran. »Und - der Heolin?«, fragte er flüsternd.
»Gestohlen«, erwiderte Aryak kurz.
»Ah!«, zischte der Sgerträger entsetzt.
Awin biss sich auf die Lippen. An den Worten dieses Mannes gab es etwas, das ihn störte. Wenn sie davon nichts wussten - und es war offensichtlich, dass es so war -, hieß das, dass sie von den anderen Ereignissen schon gehört hatten?
»Ihr habt euch den Lichtstein rauben lassen?«, fragte Horket in einer Mischung aus Unglauben und Wut. »Der Heolin war deiner Sippe anvertraut, Aryak, denn ihr seid der Klan der Schwarzen Berge. Wer schützt uns vor dem Bösen, das in der Slahan lauert, wenn der Lichtstein fort ist? Dies geht den ganzen Stamm an, nicht nur deine kleine Sippe. Du hättest mich um Hilfe bitten müssen.«
»Und du hättest geholfen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, Horket?«, fragte Aryak mit spöttischem Unterton.
Horket erwiderte diese Bemerkung mit einem finsteren Blick. Der Hohläugige ergriff wieder das Wort: »Dieser Stein bedeutet auch große Macht, edler Heredhan. Kein Fürst der Hakul nach Etys hat ihn je in der Hand gehalten. Wenn Etys ihn nun nicht mehr halten kann, dann sollte ihn in Zukunft vielleicht ein anderer großer Fürst hüten.«
»Große Macht, sagst du, Isgi?«, fragte der Heredhan langsam, als koste er den Klang der Worte.
»Habt ihr ihn? Habt ihr den Heolin wiedererlangt?«, fragte Isgi drängend.
»Wir hätten ihn, denn die Pferde unseres Feindes waren schon müde. Doch dann traf er deinen Vetter, Yaman Horket. Sag mir, seit wann verkaufen wir unsere Pferde an Fremde?«
Der Heredhan versteifte sich. »Das war nicht sehr klug von Tolgon, und sei versichert, er hätte dafür gebüßt. Doch nicht mit seinem Leben und schon gar nicht mit dem Leben seiner beiden Söhne! Du wirst verstehen, dass ich deine Tat nicht durchgehen lassen kann, Yaman von den Schwarzen Bergen.«
Aryak nickte. »Ich verstehe, dass du eine Sühne verlangst, Horket, und ich bin bereit, deine Forderung zu hören.«
»Drei der meinen sind tot, Aryak, das ist keine kleine Sache. Aber ich bin kein rachsüchtiger Mensch.« Er schloss die Augen, denn eine heftige Windböe fegte eine dichte Staubwolke zwischen ihnen hindurch. Dann öffnete er sie wieder. Sein Blick war lauernd: »Wenn du mir den Heolin übergibst, dann würde ich die Schuld als abgegolten betrachten. Der Lichtstein ist eine angemessene Sühne, oder was meinst du, Isgi?«
»Das ist er wirklich, mein Fürst. Angemessen. Nicht mehr und nicht weniger. Es waren immerhin Blutsverwandte von dir.«
»Wir haben ihn nicht«, erklärte Aryak ruhig, »wie ich es schon sagte.«
»Doch du weißt, wo er ist?«, fragte Isgi lauernd.
»Der Feind führt ihn immer noch mit
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