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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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brüllte. Er fuhr herum.

    Die Krieger, die aus dem Wagen geschleudert worden waren! Einer lag regungslos auf der Erde, ein anderer kroch auf allen vieren schwankend durch den Staub. Doch da war noch ein dritter. Er stand dort, keine zwanzig Schritte entfernt, den langen Lederpanzer zerrissen, den Helm fort, aber in den Fäusten hielt er eine riesige, doppelschneidige Axt. Er brüllte unartikuliert und hinkte auf Awin zu. Awin fasste sein Sichelschwert fester. Ein reiterloses Pferd schoss an ihm vorbei, und plötzlich stand Merege neben ihm. Er versuchte, sich schützend vor sie zu stellen, aber sie schob ihn zur Seite, packte ihn mit der Linken fest am Schwertarm und streckte ihre offene Rechte dem Akkesch in abwehrender Geste entgegen.
    Dieser war nur noch wenige Schritte entfernt und glotzte sie an, die Axt in den Fäusten. Awin spürte Mereges harten Griff. Sie senkte den Kopf, starrte den Akkesch an, straffte sich und rief laut einige Worte in einer Sprache, die Awin nicht verstand. Der Akkesch erstarrte mitten in der Bewegung, die Axt halb erhoben. Er begann zu zittern. Dann brüllte er, laut, noch lauter, sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, seine Augen traten weit aus den Höhlen. Awin sah plötzlich alles nur noch wie durch einen roten Schleier, und dann spürte er eine Eiseskälte, die ihm durch den Arm in die Brust kroch und sein Herz mit eiserner Hand zusammendrückte. Um ihn herum wurde alles rot. Das Brüllen erstarb - und plötzlich war der Akkesch fort. Er war verschwunden, die Trümmer des Streitwagens hatten sich in Luft aufgelöst, ja, selbst die Ebene war nicht mehr da. Awin hatte das Gefühl, dass ihm irgendetwas, ein Geschoss vielleicht, die Brust zerriss. Er fühlte den Boden unter den Füßen nicht mehr. Dann wurde ihm schwarz vor Augen, er taumelte - und auf einmal umfing ihn Stille.

Merege
    UM AWIN WAR nichts. Nur Schwärze. Und Schmerz. Seine Lungen waren wie aus Eis. Blut rauschte in seinen Ohren. Sein Atem ging schnell, stoßweise. Er konnte sich nicht bewegen und spürte gleichzeitig, dass er am ganzen Leib zitterte. Er versuchte sich zu beruhigen, tiefer einzuatmen. Das Rauschen wurde leiser, sein Atem langsamer. Der Schmerz in der Brust blieb, die Eiseskälte auch. Sein rechter Arm war ohne Gefühl. Er hörte etwas klirren und wusste, es war sein Sichelschwert, das ihm aus der Hand geglitten war. Vorsichtig öffnete er die Augen. Er stand auf einer roten Felsplatte. Um ihn herum ragten steile Hügel auf. Darüber wölbte sich ein blauer Himmel, getrübt von Staubschleiern. Wind zerrte an seinem Umhang. Dicht neben ihm stöhnte jemand. Er wandte langsam den Kopf, unsicher, ob er das überhaupt noch vermochte. Seine Beine waren wachsweich. Dort kniete Merege auf dem Boden, die Augen geschlossen, das ohnehin blasse Gesicht noch bleicher als sonst. Sie öffnete die Augen. Awin erschrak. Alle Farbe war aus ihnen gewichen. Da war nur reines, schimmerndes Weiß. Sie schloss die Augen wieder und atmete tief ein. Awin wollte einen Schritt machen, aber die Beine gaben unter ihm nach, und er taumelte ungelenk und stürzte. »Wo …?«, krächzte er und verstummte erschrocken, als er den fremden Klang seiner eigenen Stimme hörte.
    »Atmen«, antwortete Merege heiser.
    Und er atmete, schloss die Augen und holte tief Luft. Sein Herz pochte, und er fühlte immer noch einen durchbohrenden Schmerz in der Brust. Er betastete sie mit der Linken, denn
sein rechter Arm hing schwer wie Blei an ihm. Halb erwartete er, einen Pfeil oder eine Wurflanze dort zu finden, aber da war nichts. Nicht einmal Blut. Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust. »Wie …?«, begann er erneut. Aber seine Stimme versagte ihm den Dienst. Ihm war schwindlig. Vorsichtig öffnete er die Augen, blinzelte. Felsen, Staubwolken, Himmel. Es war immer noch alles da. Wind heulte um die Felsen. »Wo …?«, begann er zum dritten Mal.
    »Glutrücken«, lautete die Antwort. »Irgendwo.«
    Awin zitterte. Als er die Augen schloss, sah er das schmerzverzerrte Gesicht des Akkesch mit der Axt vor sich. Schnell riss er sie wieder auf. »Wie sind wir …?«, versuchte er es wieder. Merege hustete. »Gleich«, sagte sie, »gleich.«
    Awin nickte. Warum hetzen? Er war vermutlich tot. Er musste tot sein. Dieser unglaubliche Schmerz, der ihn getroffen hatte. Irgendein unsichtbares Geschoss vielleicht. Er konnte die Augen nicht offen halten. Die Ebene, der Kampf, die Streitwagen. Der Akkesch mit der großen Axt. Es hatte kein Entkommen

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