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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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musste es einfach sein. Er nickte. Als Eri daraufhin losstürmen wollte, hielt Awin ihn am Arm. »Langsam, Eri, wenn das Bild mich nicht täuschte, dann sind die Löwen auch dort und …« Awin stockte.
    Curru lehnte sich stöhnend an die Wand. »Was noch, Junge? Was hast du uns bisher verschwiegen?«
    Er weiß, dass ich etwas verschweige? Awin hätte eigentlich nicht überrascht sein dürfen. Currus Vorhersagen in letzter Zeit waren zwar meist, nein, eigentlich sogar immer falsch gewesen - aber das hieß nicht, dass er ihm so leicht etwas vormachen konnte. Er
seufzte. »Ich sah einen Knaben dort am Wasser, vielleicht zehn Jahre alt.«
    Eri runzelte die Stirn. »Menschen, hier? Bis du sicher? Oder ist das so ein Seherhirngespinst?«
    »Ein Knabe am Wasser«, murmelte Curru nachdenklich. »Was hat er dort gemacht?«
    »Er schöpfte Wasser.«
    »Reichtum«, erklärte Curru. »Wäre es ein Traum, würde ich sagen, der Knabe steht für Reichtum.«
    »Aber es war kein Traum«, erwiderte Awin.
    »Für mich steht dieser Teich einfach für Wasser, und ich habe Durst«, erklärte Eri ungeduldig.
    »Dennoch müssen wir aufpassen, mein Junge«, meinte Curru. »Denk an die Löwen.«
    »Ich fürchte sie nicht«, erklärte Eri und legte die Hand selbstbewusst auf den Dolch.
    Awin hörte nicht mehr zu, er musste nachdenken. Je länger er dieses Bild in seinem Kopf betrachtete, drehte und wendete, desto stärker fühlte er die Bedrohung. Waren das nur die Löwen?
    »Vielleicht ist es unsere Aufgabe, diesen Jungen zu retten«, sagte Merege plötzlich, und Awin, der für einen Augenblick das Gefühl hatte, der Lösung zum Greifen nah zu sein, spürte, wie sie ihm wieder entglitt.
    »Natürlich«, rief Eri, »wir retten ihn, und zum Dank überhäuft er uns mit Schätzen.«
    Curru lachte leise. »Mein Junge, im Augenblick würde ich all meine Waffen für einen guten Schluck frischen Wassers hergeben. Also lasst uns nicht länger verweilen, es kann doch nicht mehr weit sein. Und wenn da Löwen sind - nun, dann können wir es nicht ändern.«
    Sie blieben dicht zusammen. Selbst Eri schien sich jetzt Gedanken über die beiden Raubkatzen zu machen. Nach wenigen
Schritten stießen sie auf einen Einschnitt in den Felsen. Ein Windhauch wehte hindurch. Er schmeckte nach Feuchtigkeit. Sie beschlossen, diesem Spalt zu folgen, und erlebten eine Überraschung - Stufen. Sie waren alt, verwittert, aber ohne Zweifel von Menschenhand in den roten Stein gehauen. Sie führten steil nach unten. Sie nahmen es als gutes Zeichen, denn wenn es hier Wasser gab, dann sicher nicht oben auf den Felsen, sondern in irgendeinem tiefer gelegenen Tal - so wie es Awin beschrieben hatte. Awin ging das Gesehene noch einmal durch. Kam die Bedrohung von den Zeichen im Fels? Er versuchte, sie sich in Erinnerung zu rufen. Es waren grob gehauene Bilder von Menschen und Tieren. Alt und verwittert. Aber irgendetwas lauerte in den Schatten. In seiner Erinnerung warf die Sonne harte Schatten in den kleinen Talkessel. Sie musste fast senkrecht stehen so wie jetzt auch. Aber sosehr er sich auch bemühte, er konnte die Schatten nicht durchdringen. Ein Gefühl der Beklemmung bemächtigte sich seiner. Er schob das zunächst auf die beengenden Felsen, aber dann wurde ihm mit jedem Schritt, den sie sich vorantasteten, klarer, dass sie sich einer tödlichen Gefahr näherten, einer Bedrohung, die nichts mit Löwen zu tun hatte.

Die Löwenpforte
    SKEFER ZOG LEISE durch die Felsen. Awin verfluchte ihn, denn der Peiniger ließ seinen Kopf schmerzen und das Denken mühsam werden. Dann drang ein Geräusch an seine Ohren. Es war das leise Plätschern von Wasser. Sie schlichen vorsichtig weiter, bis sie am Ende des Spalts einen mächtigen umgestürzten Baumstamm erreichten. Awin fragte sich, vor wie langer Zeit dieser Baum wohl umgefallen sein mochte. Er berührte ihn. Er fühlte sich nicht wie Holz an, sondern wie Stein. Sie spähten über den versteinerten Baum hinweg in einen kleinen Talkessel. Dort ragte die behauene Wand in den glühenden Himmel, davor lag der Teich. In der wirklichen Welt wirkte er kleiner als im Traum.
    Etliche niedrige Bäume und Büsche wuchsen an seinem Ufer, und zwischen diesen Büschen kniete der Knabe und schöpfte Wasser, genau, wie Awin es gesehen hatte. Er war höchstens zehn, hatte dichtes schwarzes Haar und war mit einem kurzen grauen Lendenschurz bekleidet. Er schöpfte Wasser, beobachtete die Wellen, die dabei entstanden - und dann goss er das Wasser wieder

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