Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
Wenn wir ihn dort finden, ist unsere Jagd zu Ende. Ist er aber nicht dort, so werden wir uns nicht lange aufhalten, denn diese Jagd duldet keine Rast und keinen Aufschub.«
»Die Pferde sind müde«, wandte der dicke Bale ein.
Der Yaman warf ihm einen wütenden Blick zu. »Schieb es nicht auf die Pferde, wenn du erschöpft bist, Bale. Sie werden bald trinken und vielleicht sogar rasten können, wenn es gut geht. Wenn nicht, wird der Feind ebenso müde sein wie wir, und
wir werden nicht ruhen, bevor er gestellt ist. Dies ist eine heilige Jagd und kein Viehtrieb, Bale!«
»Ich sage nur, dass wir ihn nicht einholen werden, wenn die Pferde unter uns zusammenbrechen, Yaman«, erwiderte der Pferdezüchter mürrisch.
»Und du glaubst, das weiß ich nicht? Doch genug jetzt. Mewe und Awin, ihr zwei reitet voraus und meldet, was ihr dort am Knochenwasser seht. Vielleicht hat der Feind Verbündete, die dort auf uns warten. Sind sie nur zu zweit, beginnt den Kampf dennoch nicht ohne uns. Wir sind dicht hinter euch.«
Awin war überrascht, dass der Yaman ihn zu dieser wichtigen Aufgabe heranzog. Curru war es offensichtlich ebenfalls. Er bedachte seinen Schüler mit einem finsteren Blick, sagte aber nichts. Der Yaman hatte seine Entscheidung getroffen und verkündet - er würde sie unter keinen Umständen rückgängig machen.
»Warum hat der Yaman mich ausgesucht?«, fragte Awin den Jäger, als sie die anderen hinter sich gelassen hatten.
Der Jäger sah ihn an und grinste. »Ihm ist durchaus aufgefallen, dass du aufmerksame Augen hast, junger Seher. Und wirklich, wenn du nur ein wenig besser mit dem Bogen wärst, würde ich in dir den nächsten Jäger des Klans sehen. Mir scheint, du hast dazu mehr Talent als zum Seher.«
»Danke«, murmelte Awin verdrossen.
Danach sprachen sie nicht mehr. Sie lenkten ihre Tiere im leichten Trab an einigen Felsen vorbei. Nach etwa dem Viertel einer Stunde hielten sie an.
»Näher kommen wir nicht heran. Die Pferde wittern schon das Wasser und werden unruhig. Wir binden sie hier an und gehen zu Fuß weiter«, flüsterte der Jäger.
Sie schlichen an einigen weiteren Felsen vorbei bis zu einer flachen Düne. Dann krochen sie vorsichtig zum Kamm der
Erhebung im Sand und spähten hinab. Es war spät geworden, die Sonne schickte sich bereits an, den Himmel im Westen zu verlassen. Vor ihnen lag die weite Senke mit der Wasserstelle. Einzelne Dattelpalmen erhoben sich am Ufer, Buschwerk zog sich bis zum Rand hin, und dicht am Wasser deckte üppiges Gras den Boden. Über allem lag eine dünne gelbe Staubschicht. Also war der Sturm auch hier vorübergezogen, wenn auch offensichtlich nicht in voller Stärke.
Es waren Menschen dort. Ein schwerer, vierrädriger Karren stand unweit des Ufers. Zusammengenähte Lederhäute waren wie ein Zelt darübergespannt, so dass Awin nicht sehen konnte, was sich auf dem Wagen befand. Eine bucklige, weißhaarige Frau kniete dort unten, halb verdeckt durch einige Büsche und offenbar im Begriff, ein Feuer zu entfachen. Am Wasser weideten zwei stattliche Ochsen. Der Wagen schwankte leicht, also war noch jemand auf der Ladefläche. Mehr als ein oder zwei Menschen konnten es aber nicht sein. Awin starrte hinunter. Irgendetwas an der weißhaarigen Gestalt schlug ihn in den Bann, aber er konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht die weißen, schweren Zöpfe, die fast bis zum Boden reichten. Der Jäger tippte ihm auf die Schulter. Sie krochen zurück und liefen dann eilig zu ihren Pferden.
»Was sind das für Leute?«, fragte Awin leise.
Der Jäger zuckte mit den Schultern. »Vielleicht Händler. Sie sind sehr mutig oder sehr dumm, wenn sie die Slahan mit einem Ochsenkarren durchqueren wollen. Ja, ich wundere mich, dass sie mit dem schweren Gespann überhaupt so weit gekommen sind. Wichtiger aber ist, dass ich dort keine Spur von unseren Feinden oder ihren Pferden sehen konnte. Oder ist mir etwas entgangen?«
Awin schüttelte den Kopf. »Sollen wir die Fremden befragen?«
»Nein, das überlassen wir besser unserem Yaman, junger
Seher. Reite ihm entgegen und berichte, was wir hier vorgefunden haben. Ich werde derweil die Wasserstelle umrunden und sehen, ob es an anderer Stelle Spuren gibt. Dann erwarte ich euch hier.«
»Und wenn der Fremde dort irgendwo lauert?«
»Es wird ihm schwerfallen, die Pferde vom Wasser fernzuhalten, wenn sie es erst einmal gewittert haben. Auch er selbst wird durstig sein. Nein, ich glaube nicht, dass er so stark ist, dass er dieser
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