Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
manchmal für eine Woche oder auch für einen ganzen Mond. Sie liebte es, mit den Zelten der Hakul zu spielen, die Halteleinen zu lösen und Wolle oder gar Leder mürbe zu machen, bis es riss. Die Alten sagten, wenn sie nur lange genug bliese, dann könne Isparra selbst Mauern zum Einsturz bringen. Der Sger konnte darauf keine Rücksicht nehmen. Also verhüllten die Reiter ihre Gesichter, schützten die Rücken der Pferde mit ihren Mänteln und zogen weiter. Von Zeit zu Zeit stiegen sie ab und führten ihre Tiere am Zügel, um sie zu schonen, und so kamen sie nur langsam voran. Ein Zug von Kriegern, der, so dachte Awin, irgendwann im Sand ertrinken würde. Ein Gerücht entstand unter den Kriegern. Awin hörte es schließlich von Mabak: »Sie sagen, der Feind sei ein Diener Slahans«, flüsterte er, als sie gegen Mittag rasteten, um die Pferde zu tränken.
Awin schüttelte den Kopf. Curru hatte am Knochenwasser etwas Ähnliches gesagt. Stammte dieses Gerücht etwa von ihm? »Wer sagt das, Mabak?«, fragte er.
»Alle«, behauptete der Junge.
»Die Götter stehen nicht auf Seiten von Mördern und Räubern, Mabak, das kannst du mir glauben.«
»Aber Slahan ist eine Gefallene Göttin«, widersprach Mabak.
»Soweit ich weiß, hasst sie alle Menschen, denn sie gibt uns die Schuld an ihrem Schicksal. Ich habe noch nie gehört, dass
sie Freundschaft mit einem Sterblichen geschlossen hätte«, entgegnete Awin.
»Aber warum sind dann die Winde gegen uns?«
»Ich glaube, unser Feind wird genauso unter Isparra leiden wie wir. Kein Mensch kann sich über diesen Wind freuen.« Damit hatte Awin den Jungen beruhigt, aber er wusste natürlich, dass das nicht stimmte. Isparra verwehte Spuren. Sie nahmen an, der Verfluchte würde zum Rotwasser reiten. Aber was, wenn er sie noch einmal genarrt hatte? Ohne seine Fährte würden sie über sein Ziel im Ungewissen bleiben. Awin schickte ein stummes Gebet zu Fahs, er möge ein Machtwort sprechen und die verfluchten Winde beruhigen, die doch einst seine Diener gewesen waren. Aber Fahs erhörte ihn nicht, und Isparra wehte den ganzen Tag und die ganze folgende Nacht, ohne müde zu werden.
Als sie im Morgengrauen aufbrachen, war es nicht viel besser geworden, aber die Landschaft änderte sich, und einzelne baumhohe Felsen boten von Zeit zu Zeit ein wenig Schutz vor Isparra. Und im Windschatten eines lang gezogenen Felsens ließ Mewe den Zug plötzlich anhalten. Er war auf eine Spur gestoßen. Die Männer sahen stumm zu, wie der Jäger jene wenigen Abdrücke im Sand abschritt, die Isparra ihm gelassen hatte. Die Anspannung stand allen ins Gesicht geschrieben.
»Drei Pferde«, erklärte Mewe schließlich, nachdem er die halbverwehten Abdrücke lange betrachtet hatte.
Immer noch sagte keiner der Krieger etwas, so als hätten sie Sorge, ein unbedachtes Wort könne die kümmerliche Spur zerstören.
»Sie sind müde, seht ihr? Dort ist eines gestolpert, und jenes hat einen schleppenden Gang.«
»Ist es der Feind?«, fragte der Yaman.
»Er ist es«, erklärte der Jäger ruhig.
»Und wann war er hier?«
»Isparra macht es schwer, das genau zu sagen, aber ich denke, es war gestern. Zwölf Stunden mag es her sein, vielleicht fünfzehn.«
»Aber seine Tiere sind müde, das heißt, er muss rasten, oder?«, fragte Curru.
»Das muss er, sonst werden sie bald unter ihm zusammenbrechen.«
Mehr musste er nicht sagen. Wenn der Feind inzwischen eine weitere Rast eingelegt hatte, waren sie nur noch acht oder neun Stunden hinter ihm, und sie hatten ihre Pferde gewechselt, er nicht. Er würde von Tag zu Tag langsamer werden. Awin bemerkte, wie die Zuversicht in die Gesichter der Krieger zurückkehrte. Tuwin rechnete es ihnen vor: Wenn der Feind über das Rotwasser und die Eisenstraße nach Serkesch wollte, würde er noch wenigstens sechs Tage brauchen. Sie konnten ihn vorher einholen. Dieser Gedanke gab ihnen neuen Mut, und sie ertrugen den Wind nun leichter. Gegen Mittag stießen sie auf einen Lagerplatz, und es war der ihres Feindes. Mewe untersuchte die Asche des Feuers. Offenbar hatte er längere Zeit geruht. Er schien leichtsinnig zu werden. Glaubte er etwa, er habe sie abgeschüttelt? Bald darauf wurden die Felsen weniger, und die Spuren verloren sich wieder im Sand. Auch ihre Tiere waren müde, und Aryak ließ sie wieder absitzen und die Pferde führen. Kein Hakul läuft gerne, aber jeder Schritt brachte sie dem Verfluchten näher. Bald darauf zeigte sich hinter den Staubschleiern, die
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