Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
ist er nur so nah an der Kante geritten? Diese Rampe ist doch breit genug für vier Rösser«, murmelte Mewe neben Awin. Curru dachte wohl ähnlich, aber er drückte es anders aus: »Dieser Narr, warum hielt er sein Tier nicht auf dem Weg wie die anderen?«
Harmin erhob sich und blickte den Seher erbost an. »Narr? Dieser Mann war mein Vetter und hat schon in vielen Kriegsund Beutezügen an meiner Seite gekämpft. Er war sicher kein Narr. Aber anders ist es bei dir, Curru von den Schwarzen Bergen. Warst du es nicht, der Tengwil herausgefordert hat?«
Curru öffnete den Mund zu einer scharfen Antwort, doch dann erinnerte er sich wohl an das, was er Senis zugerufen hatte, denn er schwieg betroffen.
»Natürlich, dieser Unglücksbringer hat sich vor der Kariwa ein herrenloses Pferd gewünscht«, murmelte einer der Jungkrieger neben Awin.
Curru hatte seine Fassung wiedergefunden. »Du beschuldigst mich, Harmin? Gib die Schuld lieber den beiden Hexen. Es war ihr Zauberspruch, der euren Bruder hier getroffen hat.«
»Und dennoch warst du ein Narr, dieses Unglück herauszufordern, Seher«, schleuderte ihm Harmin zornig entgegen.
»Hört auf zu streiten, Männer«, mahnte Yaman Aryak. »Dege ist tot, und wir können sein Schicksal nicht ändern. Aber bestatten können wir ihn, und das wollen wir tun.«
»Du gehst sehr leicht über den Tod eines Mannes hinweg, der nicht in deinem Sger ritt, Yaman Aryak«, gab Harmin wütend zurück.
»Auch ich habe Männer verloren, Harmin, vergiss das nicht! Und auch bei Elwah und den seinen blieb uns keine Zeit zu trauern.«
Sie bestatteten Dege am Fuße der verhängnisvollen Rampe, und wie bei Elwah und seinen Söhnen begruben sie ihn nicht in der Erde, sondern unter einem hastig zusammengefügten Grabhügel aus Steinen. Während die Krieger noch Felsbrocken und Sandsteinplatten zusammentrugen, kehrten die drei Jungkrieger von der Verfolgung zurück. Das geflohene Pferd führten sie nicht mit sich. »Es war, als sei der Falbe von einem Daimon besessen, er war nicht einzuholen«, rief Eri.
»Wir haben ihn zwischen den Felsen aus den Augen verloren«, berichtete einer der beiden anderen Verfolger. Mit Bestürzung blickten sie auf das frisch errichtete Grab.
»Ich bin sicher, wir sehen ihn wieder«, verkündete Curru düster.
Die Krieger sahen einander an. War das vorstellbar? Würde der Falbe mit einer der Zauberinnen im Sattel zu ihnen zurückkehren?
»Wenn sie es wagt, werden wir sie töten«, sagte Ebu düster.
»Wir werden nichts dergleichen tun«, verkündete Yaman Auryd. »Unser Sgerbruder hat einen traurigen Tod gefunden. Doch habe ich nicht gesehen, dass ein Zauber wirkte. Eher war es doch so, dass wir selbst Tengwil herausgefordert haben.«
»Wir? Sage nicht wir, wenn du diesen unglückseligen Seher meinst, Yaman«, erklärte Harmin düster.
»Ich sage wir , Harmin, denn wir reiten, kämpfen und sterben zusammen.«
»Aber nur bis zur Eisenstraße«, gab der alte Schmied grimmig zurück.
Die Männer der beiden Sgers sahen einander beunruhigt an. War es nun Currus Schuld, da er die Große Weberin herausgefordert hatte? Oder hatte doch ein tückischer Zauber der beiden Kariwa den Tod zu ihrem Waffenbruder gelockt? Awin zog eine andere Möglichkeit in Betracht. Als es geschehen war, hatten sie gestritten - über das, was Curru gesagt hatte, und vor allem über das Geheimnis ihres Sgers, die Toten vom Bach. Es hieß, eine böse Tat würde auch den schnellsten Reiter weit verfolgen. Vielleicht war es der Fluch dieser Tat, der hier einen der ihren eingeholt hatte. Aber diesen Gedanken behielt Awin für sich.
Inzwischen war das Grab weitgehend fertig gestellt worden. Nur die letzte Steinreihe, die Deges Grab verschließen würde, fehlte noch. Curru wollte die üblichen Worte am Grab sprechen, doch hielt Auryd das für keine gute Idee. Stattdessen fand sich plötzlich Awin dazu ausersehen. Und während die Männer Mähnenhaare ihrer Rösser ins offene Grab legten, sprach Awin zum ersten Mal die überlieferten Worte und wünschte Dege, Gorwes Sohn, eine gute Aufnahme auf der immergrünen Steppe der nächsten Welt und dass er bald mit seinen Ahnen und dem Wind um die Wette reiten würde, weit vorne, unter den Edelsten im Gefolge des Pferdegottes Mareket. Er schwitzte Blut und Wasser, aber ihm unterlief kein einziger Fehler. Nachdem das Grab verschlossen war, kam Curru zu ihm. »Nicht schlecht für das erste Mal, mein Junge, wenigstens für dieses Amt magst du geeignet
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