Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
»Hättest du nicht auch große Lust auf einen frisch gebratenen Hammel? Wäre das nicht besser als diese endlosen Streifen von Trockenfleisch, die wir seit Tagen herunterwürgen?«
»Es wäre wirklich viel besser, Meister Harbod«, antwortete Awin vorsichtig, »doch ich denke, wir sollten darauf verzichten. Und nicht nur, weil uns Yaman Aryak darum gebeten hat, sondern vor allem, weil diese Ebene und diese Gehöfte gefährliche Orte sind.«
»Gefährlich? Sie sind doch wie ausgestorben. Die Akkesch und ihre kydhischen Knechte haben sich aus lauter Angst vor uns verkrochen«, entgegnete Harbod.
»Ich weiß nicht, warum sie sich nicht zeigen, doch bin ich sicher, dass es nicht aus Furcht vor uns geschieht, Meister Harbod. Bemerkst du die drückende Stille nicht? Unheil liegt über diesem Ort. Und ich sage dir, dieses Unheil wird auch uns treffen, wenn wir nicht von nun an auf jeden unserer Schritte achten. Wir wandeln auf einem sehr schmalen Grat, Harbod, Harmins Sohn.«
Der Fuchs-Krieger sah ihn nachdenklich an. »Es stimmt, diese Ruhe ist nicht natürlich. Und dann das Geschrei, als unsere Leute in die Stadt ritten. Hast du Zeichen gesehen, Seher?«
Der Mann nannte ihn Seher. Nicht junger Seher, nein, Seher. Und er legte Wert auf seine Meinung. Für einen Augenblick fühlte sich Awin geschmeichelt, doch dann erkannte er, dass Harbod versuchte, ihn gegen Curru auszuspielen. So leicht
wollte er es dem Fuchs-Krieger dann doch nicht machen: »Ja, ich habe etwas gesehen, Harbod, doch will ich jetzt nichts darüber sagen, nicht, ohne vorher meinen Meister um Rat gebeten zu haben.«
Harbod runzelte die Stirn, dann lachte er plötzlich. »Nun, die Bauern und ihre Schafe laufen uns nicht weg. Wir können warten, bis euer Yaman wieder hier ist.«
»Vielleicht werden wir auch gar keine Hammel brauchen, Harbod«, meinte Tuwin, »denn wenn alles gut geht, kommt Yaman Aryak mit dem toten Feind im Sattel und dem Lichtstein in der Hand aus der Stadt zurück.«
Harbod starrte ihn an. Dann fragte er: »Siehst du das, Seher? Siehst du, dass unsere Jagd heute zu Ende geht?«
Awin fühlte plötzlich die Blicke des gesamten Sgers auf sich gerichtet. Er errötete, vor allem weil er versuchte, genau das zu verhindern. Er hatte sich mit seinen Aussagen weit vorgewagt, nun musste er auch diese Frage beantworten. »Das Ende dieser Jagd hat mir Tengwil noch nicht gezeigt, Meister Harbod«, antwortete er ausweichend, »und dies ist ein Grund mehr, Vorsicht walten zu lassen.«
Harbod öffnete den Mund zu einer Erwiderung, aber dann schüttelte er nur den Kopf, wandte sich ab und ging davon. Die Krieger zerstreuten sich und kümmerten sich um ihre Tiere oder suchten sich einen angenehmen Ruheplatz für die Nacht.
»Ich danke dir, Awin«, flüsterte der Schmied. »Endlich hat jemand diesen Mann verstummen lassen.«
»Ich bin nicht sicher, dass dies mein Verdienst ist, Meister Tuwin«, erwiderte Awin und ging, um sich endlich um seinen Schecken zu kümmern. Er hatte nicht den Eindruck, dass Harbod für längere Zeit Ruhe geben würde. Er schien einfach zu viel Freude daran zu haben, Unruhe zu stiften. Bald war das Lager errichtet. Die Pferde waren versorgt und suchten den
kargen Boden nach Halmen ab. Sie blieben aufgezäumt, denn die Hakul wollten auf alles vorbereitet sein. Aber das Feuer brannte, die Schlafplätze für die Nacht waren vorbereitet. Jetzt konnten sie nur noch warten. Einmal hörten sie Schreie aus der Stadt, fern, aber durchdringend - sie schienen vom Tempelberg zu kommen. Die Hakul erhoben sich und griffen zu ihren Waffen. Mewe zählte die Schreie, es waren mehr als vier, beinahe ein Dutzend. Danach blieb es ruhig. Die Hakul warteten, die Hand am Zügel. Awin hatte das Gefühl, dass an diesem Tag die Zeit besonders langsam verstrich. Endlich gab es Bewegung am Tor. Befehle wurden gerufen, und das Tor der Hirth öffnete sich schließlich mit schwerem Knarren. Die Krieger starrten gebannt hinüber. Aus dem tiefen Schatten der Mauer ritten vier Männer hinaus in die staubige Ebene. Der Yaman kehrte mit Curru und seinen Söhnen zurück.
Gespannte Erwartung empfing sie. Der Yaman ritt wortlos zur Mitte des Lagers, hielt seinen Rappen an und schaute nachdenklich in die Gesichter seiner Männer. Dann sagte er: »Wir haben nicht erreicht, was wir erhofft hatten. Kommt zum Feuer der Versammlung, denn es gibt viel zu berichten und beraten.«
Awin sah, wie aufgewühlt Ebu und Ech waren, aber die Versammlung war einberufen - es
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