Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
verloren.
»Ich werde bei ihr sein«, versprach Awin. Der Donner füllte dröhnend seinen Kopf. Er taumelte, stürzte über den Rand der Klippe und fiel. Das Meer erwartete ihn. Kalt und grau waren die Wogen. Er fühlte den Wind auf seinen Wangen. Er riss die Augen weit auf.
»Er lebt noch. Ich habe es gesagt«, stellte Mahuk befriedigt fest.
Awin lag auf dem Rücken. Das Meer rauschte noch in seinen Ohren. Er blinzelte.
»Ich habe nie daran gezweifelt«, sagte eine Frauenstimme.
»Ich schon«, schnaubte Tuge, »obwohl es vor Serkesch schlimmer war.«
Tuge? Warum war er wieder hier? Hatte er ihn nicht fortgesandt? Awin kam ächzend hoch. Er hustete und spuckte Staub aus.
Jemand klopfte ihm auf den Rücken. Es war Wela. Awin verstand jetzt gar nichts mehr. »Wieso seid ihr hier?«, fragte er.
»Wir freuen uns auch, dich zu sehen, Awin Sehersohn«, sagte Wela schnippisch.
Awin schüttelte den Kopf, um das Brausen und Dröhnen in seinen Ohren loszuwerden.
»Yeku wettet, du stirbst. Ich habe gewonnen«, meinte Mahuk grinsend.
»Aber Tuge, Wela, warum seid ihr schon wieder hier?«
»Schon wieder? Es ist nach Mitternacht, Awin. Und es war nicht leicht, die Hohe Fürstrichterin, diesen ehrwürdigen Yaman der Eisernen Hakul und unsere Freunde Uredh und Blohetan festzuhalten, bis du uns wieder mit deiner Anwesenheit beehrst«, sagte Wela. Mabak half ihm, aufzustehen. Also war auch der Jungkrieger erfolgreich gewesen. Und er selbst?
»Was hast du gesehen?«, fragte Wela.
»Vieles, aber nicht das, was ich wollte«, sagte Awin.
»Und was sollen wir den Boten jetzt sagen?«, wollte Tuge wissen.
»Du hast gesehen. Denke nach«, sagte Mahuk.
Awin biss sich auf die Lippen. Er musste seine Gedanken ordnen. »Sagt den Unterhändlern, dass ich in wenigen Augenblicken bei ihnen bin. Und schickt, nein, bittet Merege, zu mir zu kommen.«
Awin schloss die Augen und lauschte den Schritten seiner Gefährten, die sich langsam entfernten. Er versuchte, die Bilder, die in seinem Kopf durcheinanderwirbelten, zu ordnen.
»Während du fort warst, kam jemand«, sagte Mahuk.
Awin öffnete die Augen. Der Ussar stand vor ihm und kratzte sich den Bauch. »Wer kam?«, fragte er.
»Eine Frau. Schön wie eine Sonnentochter. Aber keine Frau, ein Windskrol.«
»Seweti?«
»Sie hat den Namen nicht gesagt. Sie ging nicht. Sie tanzte.«
»Dann war es Seweti. Was wollte sie?«, fragte Awin.
»Sie sah mich. Sie versprach reichen Lohn. Ruhm. Macht. Wenn ich den Stein zerstöre.«
»Was hast du geantwortet?«, fragte Awin, immer noch verblüfft, dass sich die Windskrole dem Ussar gezeigt hatte. »Ruhm und Macht? Soll ich enden wie Yeku? Aber sie hat auch zu anderen gesprochen. Zu der hellhäutigen Zauberin. Und zu dem alten Schmied. Aber er hat es nicht gemerkt.«
Awin versuchte zu verstehen, was Mahuk sagte: Seweti war im Lager erschienen und hatte versucht, ihn und andere zu verführen. »Harmin hat sie nicht gesehen?«, fragte er.
»Nein, aber sie hat ihm zugeflüstert. Er wird sie vielleicht verstehen, später.«
Awin spähte über die Steine. Es waren Fremde im Lager, sorgsam auf Abstand zueinander bedacht. Unter ihnen waren Uredh und Blohetan. Einige andere Schwarze Hakul, die er nicht kannte, waren bei ihnen. Und Harmin saß am Feuer. Er starrte immer noch in die Flammen, wie er es schon vor Stunden getan hatte. Konnte er dem eigensinnigen Schmied noch trauen? Welche Botschaft mochte Seweti ihm überbracht haben? Merege war am zweiten Feuer. Sie hielt den Stab mit dem Heolin in den Händen. Die Ussar blickten zu ihr auf, und
auch die Fremden konnten ihre Augen nicht von dem leuchtenden Stein an der Spitze des Stabes wenden. Jetzt sprach Wela mit ihr. Merege nickte. Als sie sich anschickte, das Feuer zu verlassen, forderte Wela sie offenbar auf, ihr den Heolin zurückzugeben. Merege sah sie befremdet an. Wela erneuerte die Aufforderung. Jetzt gab die Kariwa zögernd nach. Awin erinnerte sich wieder an Senis’ Warnung, Merege den Stein nicht zu überlassen, weil das gefährlich war. Gefährlich für wen? , fragte sich Awin, während die Kariwa mit finsterer Miene zu ihm kam.
»Was hast du erfahren, Sehersohn?«, fragte sie schroff.
Awin lächelte. Merege stockte kurz, dann holte sie tief Luft und sagte bedeutend ruhiger: »Hast du erfahren, was du wissen wolltest, Awin?«
»Ich habe manches gehört, aber längst nicht alles verstanden. Ich habe Senis gesehen, und ich bin den Winden begegnet, auch Isparra, die nun eine
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