Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Weiden.« Und er schlug vor, in südöstliche Richtung zu schwenken, bis sie auf die Spur der Göttin oder den Fluss treffen würden.
Eri widersprach, ohne dass er dafür einen Grund hätte nennen können, und Awin musste ihm gut zureden, bis er schließlich doch nachgab. Es begegnete ihnen den ganzen Tag über keine Menschenseele mehr. Srorlendh lag leer und verlassen, und nur einige Krähen folgten ihnen über das gefrorene Land. Dafür hatte Curru eine einfache und düstere Erklärung: »Selbst die Wölfe folgen uns nicht, denn sie wittern das Unglück, das uns begleitet. Die Krähen dagegen hoffen auf unser Fleisch, und sie glauben, dass sie schnell genug sind, um selbst dem Sturm davonzufliegen.«
Als sie am Abend auf der kahlen Ebene ihr Lager aufschlugen, war es unübersehbar geworden, dass der Lichtstein Farbe gewonnen hatte. Der beinahe erloschene Funke in seinem Inneren war stärker geworden. Es war nicht viel, aber es war doch ein gutes Zeichen, das erste seit langer Zeit. Auch am nächsten Morgen brachen sie wieder vor Sonnenaufgang auf. Awin stand besonders früh auf, um die kalten Glieder zu bewegen und sich irgendwie zu wärmen. Er teilte sich sein Kriegszelt mit Tuge dem Bogner, und er war durchgefroren, weil diese ledernen Behausungen zu niedrig waren, um ein Feuer darin zu machen, und in dieser elenden Gegend gab es nicht einmal Feldsteine, die sie im Feuer für die Nacht hätten anwärmen können. Tuge behauptete, dass sogar die Pferdeäpfel, die sie tagsüber für die Feuer sammelten, gefroren waren und deshalb nicht richtig brannten. Beim Satteln traf Awin auf eine schlecht gelaunte Wela. »Was ist? Du machst ein Gesicht, als wäre dir ein Schwert zerbrochen«, rief er ihr zu.
Wela warf ihm einen feindseligen Blick zu. »Es ist die Ziege«, begann sie. Awin wusste, dass sich Wela mit Merege das Nachtlager teilen musste. Sie konnten die Frauen ja schlecht zu Kriegern ins Zelt legen. »Ich glaube«, fuhr Wela fort, »unser Zelt ist das einzige, in dem es drinnen kälter ist als draußen. Dieses
Weib ist aus Eis, und ich weiß, sie würde eher schmelzen, als ein freundliches Wort über die Lippen zu bringen!«
Awin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er war froh, dass sein Staubschal es vor Wela verbarg. Jetzt nahm er ihn ab und fragte ernst: »Und wie viele freundliche Worte hast du für sie bisher gehabt, Wela?«
»Das ist was anderes«, entgegnete die Schmiedin knapp und zog ihr Pferd davon.
Am Nachmittag stießen sie endlich auf die Spur der Göttin und ihrer Stürme. Das Land hatte die verräterische gelbliche Färbung angenommen, die sie schon so oft gesehen hatten. Bald darauf kamen sie zu einem zugefrorenen kleinen Bachlauf. Am Ufer fanden sie einige ausgedörrte Leichen. Awin schlug das Herz bis zum Hals. Die Yamane und Ältesten untersuchten sie, aber es war keiner ihrer Leute darunter. Sie konnten sie nicht einmal beerdigen, denn dazu war der Boden zu hart gefroren. Also sprachen sie nur die Gebete und versprachen den Toten, zurückzukehren und ihnen den Frieden der Erde zu geben, wenn es wieder Frühling wurde.
»Es ist schade, dass der Strom sein Wasser zum größten Teil aus dem Osten, von den Sonnenbergen, nimmt«, meinte Harmin nachdenklich. Der Fuchs-Krieger hielt sich meist in der Nähe Awins auf. Zu Welas Ärger hatte er seine beiden Enkelsöhne, Limdin und Dare, mit auf diesen Zug genommen, was bedeutete, dass die Schmiedin in ihre Nähe kam, wenn sie sich mit Awin unterhalten wollte. Awin fragte sich nach einer Weile allerdings, ob die beiden Jungkrieger überhaupt in die Pläne ihres Großvaters eingeweiht waren, denn sie schienen sich nicht sonderlich um Wela zu bemühen.
»Warum ist das schade, Großvater?«, nahm Limdin, der Ältere, die Bemerkung des Schmiedes auf.
»Jedes Gewässer hält Slahan auf. Sie weicht selbst Bächen
weit aus, weil Fahs ihr für alle Zeit verwehrt hat, über offenes Wasser zu gehen. Wir hätten sie vielleicht schon stellen können, wenn es auch hier im flachen Land einige Bachläufe mehr gäbe. Aber so ist sie uns weit voraus, und wir müssen zu Pferd einem Sturm nachjagen.«
Awin fragte sich, was Harmin bewogen hatte, sich diesem Sger anzuschließen. Sein Klan gehörte zu den wenigen, die bisher von der Rachsucht der Göttin verschont geblieben waren. Als er eine Weile ergebnislos darüber nachgedacht hatte, wurde ihm klar, dass es am einfachsten war, den Schmied selbst zu fragen. Harmin sah ihn nachdenklich an, dann antwortete
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