Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Vielleicht will der Fluss nicht, dass wir ihn überqueren«, deutete Blohetan den Nebel schlecht gelaunt.
Gegen Mittag schien der Strom seine Meinung jedoch zu ändern, denn in der höher stehenden Sonne löste sich der Nebel auf. Die Landschaft war atemberaubend schön, Eiszapfen glitzerten in den Bäumen, Reif auf jedem Grashalm. Die Hakul hatten wenig Sinn dafür, denn sie hielten nur Ausschau nach einer Möglichkeit, den eisigen Fluss unbeschadet zu überqueren. Sie schickten Späher aus, doch hatten diese zunächst keinen Erfolg. Am späten Nachmittag meldete Limdin, der ältere von Harmins Enkeln, einen Reiter auf der anderen Seite des Stromes.
»Du hast gute Augen«, lobte ihn der Schmied, »ich hätte diese dunkle Gestalt im Schatten der Bäume nicht gesehen.«
»Wer mag das sein, Großvater Harmin?«, fragte der Knabe.
»Auch auf der anderen Seite des Flusses leben Hakul, mein Junge, doch kann ich dir nicht sagen, welcher Klan oder Stamm diese Weiden im Winter beansprucht. Es mag jedoch sein, dass auch dieser Krieger für einen Klan reitet, der dem Heredhan verpflichtet ist. Horkets Weiden können jedenfalls nicht mehr fern sein.«
Noch einmal wurde ein Reiter am anderen Ufer gesehen, doch es war nicht sicher, dass es derselbe war.
»Wenn es hier eine Furt gibt«, brummte Tuge missmutig, »dann werden wir sie nicht unbeobachtet überqueren können.« Der Bogner leistete Awin die meiste Zeit über Gesellschaft, ohne dass sie allzu viel miteinander redeten. Awin war das nicht unrecht. So hatte er Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Wenn sie den Fluss überquerten, waren sie vielleicht schnell genug, um Xlifara Slahan zu erreichen, bevor sie … ja, bevor sie was tat? Sie wollte nach Osten, so viel schien sicher. Doch was zog sie dorthin? Sosehr Awin auch darüber nachdachte, er fand keine Lösung für dieses Rätsel. Die Göttin musste ein Ziel haben, warum sonst sollte sie so beharrlich nach Osten drängen? Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit mit Merege darüber zu sprechen. Awin sah die Kariwa etwas abseits des Zuges reiten. Sie hielt sich meist am Ende des Sgers auf und schien die Einsamkeit zu suchen. Awin hätte gerne gleich mit ihr gesprochen, doch erinnerte ihn Tuge daran, dass sein Platz an der Spitze des Zuges war: »Stell dir vor, wir begegneten Fremden. Wenn sie den Heolin sehen, werden sie beeindruckt sein, aber nicht, wenn er ganz am Ende des Sgers reitet.«
Also verschob Awin seine Unterhaltung mit Merege auf die nächste Rast. Einige Zeit später kam Wela zu ihm. Sie ließ sich nur selten bei den Yamanoi blicken, meist war sie bei Mabak. Vermutlich wollte sie Harmins Enkeln aus dem Weg gehen. Immerhin versorgte sie Awin mit den neuesten Gerüchten, wenn sie sich, so wie jetzt, doch blicken ließ. »Sie sagen, du könntest fliegen, Awin«, begann sie.
»Wer?«, fragte Awin verblüfft.
»Die Jungkrieger, mit denen Mabak reitet.«
»Dann solltest du ihnen sagen, dass das Unsinn ist.«
»Und du sollst auf einem Awathan geritten sein«, fügte Wela grinsend hinzu.
Awin seufzte. »Ich habe nie etwas Derartiges behauptet. Wie kommen sie nur darauf?«
»Mabak«, antwortete Wela schlicht. »Er hat ihnen von deiner Reise erzählt.«
»Aber das waren doch nur Bilder, Gedanken. Ich hatte nur das Gefühl, zu fliegen - und die Seeschlange habe ich nicht geritten, sondern nur in diesem Gesicht gesehen. Ich glaube, ich sollte ein ernsthaftes Wort mit diesen jungen Kriegern reden.«
»Und ich glaube, diese Mühe kannst du dir sparen, Awin Sehersohn. Sie würden dir nicht glauben. Mabaks Bericht hat ihnen einfach zu gut gefallen.«
»Wir hätten ihn zurücklassen sollen«, brummte Awin missvergnügt. »Hat er nicht gerade erst eine Frau gewählt?«
»Schon im Herbst, Awin. Sie hat geweint, als er mit uns aufbrach.«
»Das Brautjahr ist noch lange nicht vorüber. Und es ist noch nicht entschieden, dass die schöne Niwa sich entschließt, ihn zu behalten«, mischte sich Harmin ein.
»Du wolltest sagen, Harmin, dass ihr Vater noch nicht entschieden hat, ob Mabak ihm reich genug ist«, entgegnete Wela grimmig.
Der Schmied des Fuchs-Klans lachte. »Er hat nur das Wohl seiner Tochter im Auge wie alle Väter, junge Wela. Manche machen ihre Töchter sogar zu Schmieden, auch wenn das gegen alle guten Bräuche verstößt.«
Wela setzte zu einer scharfen Antwort an, aber dann schnaubte sie nur verächtlich, wendete ihr Pferd und jagte zurück ans Ende des Zuges. Awin sah ihr nach.
»Sie hat
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