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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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einen starken Willen und ein sehr gutes Gedächtnis,
Harmin«, meinte Tuge lächelnd. »Ich weiß nicht, ob es klug ist, sie gegen dich aufzubringen, wenn du einen deiner Enkelsöhne mit ihr verheiraten willst.«
    »Wer sagt, dass ich das will, Bogner?«, brummte Harmin, aber seine gute Laune schien verflogen.
    Der Sger hielt an, denn einer der ausgesandten Späher kehrte zurück. Eine Furt hatten sie nicht gefunden, doch waren sie auf ein zerstörtes Klanlager gestoßen. Der Späher war leichenblass und berichtete: »Wir hätten es vielleicht gar nicht bemerkt, wenn die Krähen nicht gewesen wären. Ich wollte, wir wären ihrem Krächzen nicht gefolgt und meinen Augen wäre erspart geblieben, was sie sehen mussten.«
    Die Yamane zögerten einen Augenblick, aber dann verständigten sie sich stumm darauf, dass sie sich die Sache selbst ansehen mussten. Das Lager befand sich etwas abseits des Dhurys, jenseits einer lang gezogenen Bodenwelle, die es vermutlich vor dem kalten Flussnebel schützen sollte. Schwarze Dornenhecken boten dem Lagerplatz weiteren natürlichen Schutz, und er war von kahlen Weiden und Pappeln gesäumt, viele von ihnen vom Sturm übel zugerichtet. Äste waren gebrochen, ganze Bäume geknickt worden. Dutzende Krähen stiegen unter misstönendem Krächzen auf, als die Hakul über den Damm kamen. Es war das Bild der Verwüstung, das Awin nun schon mehrmals hatte sehen müssen, nur dass es noch schlimmer war als sonst. Mehr als ein Dutzend Leichen lagen zwischen den Zelten, unnatürlich ausgedörrt, wie es den Opfern Slahans eben widerfuhr. Die Krähen hatten das Übrige besorgt und das wenige gefrorene Fleisch noch von den Rippen der Toten geraubt. Awin sah die Spuren ihrer Schnäbel, die zerfetzte Kleidung, die leeren Augenhöhlen.
    »Keine Überlebenden«, stellte Curru bitter fest. »Wenigstens keine, die ihre Verwandten begraben hätten.«

    »Ein Festtag für Uo«, murmelte Tuge düster.
    Die Rundzelte waren eingestürzt und zusammengefallen, zerbrochene Pfosten ragten aus der Erde. Dhurys’ Nebel hatte einen Weg über die Bodenwelle gefunden und Zelte, Pfosten und Leichname mit einer dicken Schicht Raureif überzogen.
    »Sollten wir sie nicht begraben?«, fragte Dare, Harmins jüngerer Enkel, schüchtern.
    Sein Großvater schüttelte den Kopf. »Wenn wir Zeit hätten, würden wir das vielleicht tun, auch wenn dies nicht unser Klan war. Aber wir sind in Eile, mein Junge, denn wir müssen diejenige finden und bestrafen, die das getan hat.«
    Es klang halb wie eine Ausrede, doch das war es nicht. Sie mussten weiter, so schnell wie möglich. Sie scheuten sogar davor zurück, die Zelte nach Brauchbarem oder Wertvollem abzusuchen, wie sie es sonst getan hätten. Sie sprachen eilig ihre Gebete und ließen das Lager hinter sich. Für eine Weile ritten sie scharfen Trab. Niemand hatte diesen Toten versprochen, zurückzukehren.
     
    Dann, es dämmerte schon, brachte einer der Späher endlich die erwünschte Nachricht: Sie hatten eine Furt gefunden. Das Ufer war dort flach, ohne Böschung, und ausgefahrene Wagenspuren von vielen Hakul-Karren führten hinein. Sie beschlossen, die Furt trotz des ungewissen Lichts gleich zu durchqueren, als würde der Fluss den Abstand zwischen ihnen und dem Grauen, das sie gesehen hatten, um ein Vielfaches vergrößern. Awin blickte zweifelnd auf den Strom. Er war hier mehr als drei Pfeilschüsse breit. In der Mitte teilten lang gezogene Sandbänke den Strom, und dazwischen sprang er schnell über zahllose Steine. Awin spürte ein Unbehagen, das er nicht erklären konnte. Eri und Uredh lenkten ihre Pferde ins Wasser, und
seufzend folgte er ihnen. Sein Brauner schnaubte unwillig, als das eiskalte Wasser seine Beine umströmte. Die Dämmerung war schon fortgeschritten, und er fragte sich, ob sie nicht besser bis zum nächsten Tag gewartet hätten. Das Wasser wurde tiefer und reichte seinem Pferd schließlich bis zum Bauch. Das eiskalte Nass drang in seine Stiefel ein. Es war immer noch ein gutes Stück bis zur Mitte des Stromes, wo das Wasser rund um die Sandbänke wieder flacher wurde. Kleine Eisschollen trieben in den gurgelnden Fluten an ihm vorüber. Das gegenüberliegende Ufer lag still in der Dämmerung. Awin fiel eine schwarze Hecke auf, die sich unter einer großen Gruppe von Weiden hinzog. Er sah noch einmal genauer hin. Dort schienen Atemwolken aufzusteigen. »Halt!«, rief er. »So haltet doch an!«
    Unwillig drehten sich die Yamane zu ihm um. »Was ist, Awin? Ist

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