Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
von den Toten Auferstandene, sie hatte sie mit einem schlichten Nicken begrüßt und mit kargen Worten willkommen geheißen. Kein Wort des Dankes dafür, dass Merege den entscheidenden Kampf gegen Slahan gewonnen und somit auch für die Sonnentöchter die Festung zurückerobert hatte. Awin fragte sich, ob die Fürstrichterin vielleicht fürchtete, Merege könne daraus irgendwelche Ansprüche ableiten, was er selbst für sehr unwahrscheinlich hielt. Merege wirkte abwesend, als sei sie aus tiefem Schlaf aufgewacht und müsse erst herausfinden, wo sie eigentlich war. Aber andererseits nahm sie
ihre Rückkehr nach so langer Zeit so selbstverständlich hin, als sei sie nicht zwei Monde, sondern nur eine Nacht fort gewesen. Sie hatte bislang nicht einmal gefragt, was während ihrer Abwesenheit geschehen war. Er hatte ihr auf dem Weg zu dieser Beratung unaufgefordert das Wichtigste in aller Kürze erzählt.
Jetzt ergriff die Kariwa zum ersten Mal das Wort: »Awin fand mich an einer Bucht, doch es war keine, die ich kannte, ehrwürdige Fürstrichterin. Es war fast wie im Schneeland, doch anders. Die Berge, das Meer, sogar der Rauch der Feuerberge in der Ferne, das alles war vertraut - aber es war kein Ort, den ich je zuvor gesehen hätte.«
Mit leichtem Neid stellte Awin fest, dass Merege frisch und geradezu ausgeruht wirkte, während er selbst sich nach seiner viertägigen Reise immer noch völlig zerschlagen fühlte.
»Es ist nicht gut, darüber zu reden«, warf Mahuk Raschtar ein. »Dies ist das Land, in das Menschen erst nach dem Tod gehen dürfen. Es muss groß sein, denn viele Seelen gehen dorthin, und wenn es so groß ist, mag es viele Wüsten, Berge, Meere und Inseln dort geben, so wie in unserer Welt auch. Yeku war dort, aber er spricht nicht viel darüber.«
Die Fürstrichterin nickte. »Du hast Recht, Raschtar, wir sollten nicht versuchen zu begreifen, was den Göttern zu verstehen vorbehalten ist. Zumal es auch andere Dinge zu besprechen gilt. Dinge, die einfacher zu fassen sind, denn sie betreffen Hakul und Sonnentöchter.«
»Eris Botschaft!«, rief Awin.
»So ist es. Der Bote des Tiudhan mit seinem Sger wartet immer noch vor der Festung auf unsere Antwort. Ich habe schon gehört, dass ihr dem Frieden nicht im Weg stehen wollt, Yaman Awin. Das ehrt euch, aber dennoch habe ich Zweifel, dass dieses Angebot so gut ist, wie es sich aus dem Munde des Boten anhört.«
»Tiudhan?«, fragte Merege.
Awin seufzte. Er hatte ihr viel zu erklären. Für den Augenblick beließ er es beim Notwendigsten: »Heredhan Eri ist schnell aufgestiegen. Zuerst haben ihn die Schwarzen und Eisernen Hakul zu ihrem Tiudhan gewählt, inzwischen haben ihn alle wichtigen Stämme als Fürsten anerkannt.«
»Wie viele Jahre war ich fort?«
»Nicht Jahre, Merege, nur wenig mehr als sechzig Tage.«
»Aber wie konnte dieser Knabe so schnell so hoch aufsteigen?«, fragte sie mit einem nach innen gekehrten Blick.
»Er … er hat den Heolin geraubt, Merege«, antwortete Awin betreten.
Die Kariwa warf ihm stumm einen Blick zu, der schlimmer war als jeder Vorwurf, den sie erheben konnte. Awin fühlte sich elend. Er hatte versprochen, ihr den Lichtstein zu überlassen, wenn Slahan besiegt war. Er wusste, dass der legendäre Fürst Etys den Stein nicht vom Sonnenwagen, sondern vom Siegel am großen Daimonentor geraubt hatte. Und nur den Wächtern der Kariwa war es zu verdanken, dass das Skroltor den Ausgeburten aus Edhils Albträumen noch standhielt, denn das Siegel war geschwächt, seit dieser Teil fehlte.
»Ich weiß nicht, ob der Lichtstein reicht, seinen Aufstieg zu erklären«, sagte die Fürstrichterin, und beendete damit die peinliche Stille, die Awins Antwort folgte. »Aber die Hakul haben ihre unzähligen Fehden beendet und sich zu einem Stamm zusammengeschlossen. Dies ist ein Tag, den wir immer gefürchtet haben, denn unser bester Verbündeter im Kampf gegen die Hakul war doch ihre Uneinigkeit. Jetzt sind sie vereint - aber sie bieten uns Frieden. Und das ist etwas, was ich nicht verstehe.«
»Vielleicht ist der Wunsch aufrichtig«, meinte die Brami vorsichtig. »Vielleicht haben sie erlebt, wie gut es ist, unter den
Klans und Stämmen Frieden zu haben, und suchen nun auch Einigkeit mit ihren Nachbarn.«
»Und verzichten auf die fruchtbare Ebene von Pursu, um die wir schon so lange mit ihnen erbittert streiten? Das ist schwer vorstellbar«, entgegnete die Fürstrichterin. »Nein, dahinter steckt etwas anderes.«
»Aber für
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