Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
Erfolg anzustoßen. Die Viramatai hatten für diese Feier einen großen Krug Wein gestiftet.
»Sie haben vermutlich ein schlechtes Gewissen, weil sie uns vor die Tür setzen«, hatte Tuge vermutet, was ihn nicht davon abgehalten hatte, dem Wein ausgiebig zuzusprechen. Awin dagegen war kaum dazu gekommen, von dem Getränk zu kosten, denn er war noch während des ersten Bechers eingenickt. Seine Gefährten hatten ihn dann in seine Kammer getragen, und er hatte tief und lang geschlafen. Erst gegen Mittag war er von Tuge geweckt worden, gerade, als die Fürstrichterin zu ihrem Treffen mit den Boten aufgebrochen war. Jetzt stand Awin mit dem Bogner auf der Mauer und sah die Hakul abziehen.
»Ich hätte das Angebot an ihrer Stelle vielleicht auch angenommen, aber ich denke, sie wird es bereuen«, meinte Awin.
»Sie haben drei Jahre keinen Ärger mehr. Was wollen sie mehr?«, fragte Tuge verwundert.
»Damit halten sie Eri den Rücken frei. Er kann jetzt über die Budinier oder Akradhai herfallen, ohne sich Gedanken machen zu müssen, was seine Feinde im Süden unternehmen.«
»Ich für meinen Teil wünsche unseren Brüdern Erfolg«, erklärte Tuge trocken.
»Männer, immer reden sie vom Krieg«, stellte Wela fest, die mit Gunwa die Treppe heraufkam.
»Was beschwerst du dich, Nichte? Der Krieg nährt viele Schmiede«, meinte Tuge.
»Mich nicht, denn ich bin am falschen Ort, um den Hakul meine Kunst zu beweisen«, entgegnete die Schmiedin säuerlich, während sie über die Mauer in die Ebene hinabspähte.
Awin meinte, eine gewisse Wehmut in ihrem Blick zu lesen. Vielleicht litt sie an Heimweh.
»Ich vermisse die Steppe auch«, sagte er.
»Das Staubland kann mir gestohlen bleiben, aber die Männertöterinnen lassen mich ihre Essen und Ambosse immer noch nicht benutzen. Ich langweile mich, und meine Arme fühlen sich schon ganz schlaff an. Glaubst du, das wird in Wastu besser, Awin?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass Wastu eine richtige Stadt ist, nicht nur eine Festung wie Pursu«, entgegnete er.
»Eine Stadt«, sagte Wela nachdenklich.
Awin wusste, dass sie schon lange eine richtige Stadt besuchen wollte. Er hoffte, diese Aussicht würde ihre Laune heben.
»Limdin und Dare wären gerne mitgeritten«, sagte Gunwa plötzlich.
»Mit dem Boten?«, fragte Awin.
»Ja, sie sagen, es gibt Krieg, und sie würden gerne ihre Tapferkeit unter Beweis stellen.«
»Sag ihnen, Schwester, dass sie mir ihren Mut nicht mehr beweisen müssen. Und ich hoffe sehr, dir auch nicht«, fügte er mit Nachdruck hinzu.
Gunwa zuckte mit den Schultern. »Ich kann es ihnen nicht ausreden, kleiner Bruder«, erwiderte sie.
»Aber du könntest dich entscheiden!«, verlangte Awin. »Seit
Wochen schon werben die beiden um dich. Man könnte glauben, es gäbe keine anderen Frauen mehr auf dieser Welt!«
»Davon verstehst du nichts!«, entgegnete Gunwa schroff, wandte sich ab und ging die Treppe wieder hinunter. Sie wirkte ziemlich verärgert. Wela warf Awin einen sehr tadelnden Blick zu.
»Ist das denn so schwer?«, fragte er verständnislos.
»So schwer, dass du davon offensichtlich wirklich nichts verstehst, Awin Sehersohn«, beschied ihn Wela, drehte sich um und folgte ihrer Freundin hinunter in den Hof.
»Frauen«, murmelte Awin, als sie außer Hörweite waren.
Tuge grinste breit. »Ich denke, du hast gerade die Grenzen deiner Macht erfahren, ehrwürdiger Yaman«, spottete er.
»Meine eigene Schwester«, brummte Awin missmutig, weil er wusste, dass der Bogner Recht hatte. Limdin und Dare, die beiden Enkel von Harmin, waren nach der Schlacht in Pursu geblieben. Limdin, der Ältere, war schlank und blond und von gewinnender Art. Selbst die Kriegerinnen der Viramatai mochten ihn. Dare war von kräftigerer Statur und bei weitem nicht so wortgewandt wie sein Bruder, jedoch auch von entwaffnender Ehrlichkeit und bemerkenswertem handwerklichen Geschick. Tuge hatte begonnen, ihn in der Kunst des Bogenbaus zu unterweisen, und hielt große Stücke auf den jungen Krieger, auch wenn er das so gut wie nie zeigte. Die beiden Brüder waren so unterschiedlich, dass es schwerfiel zu glauben, dass sie von den gleichen Eltern stammten. Sie hielten jedoch stets zusammen, auch jetzt noch, obwohl sie beide Gefallen an Gunwa gefunden hatten. Awin hatte ihnen die Erlaubnis gegeben, um ihre Hand anzuhalten. Seitdem versuchten die beiden ständig, sich gegenseitig mit kleinen Heldentaten zu übertreffen, um Gunwa zu beeindrucken. Aber
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